Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Bando

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"Kurzer Bericht über die Tätigkeit im Lager Bando, soweit sie auf Ostasien Bezug hat"

von H. Bohner u.a.
 

Im Lager Bando war eine größere Zahl von Mitgliedern der "Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens" – kurz "OAG" – untergebracht. Bald nach dem Krieg konnte die OAG wieder aktiv werden und auch ihre Publikationsreihe fortsetzen, und zwar 1922 zuerst mit Band XVII der "Beiträge zur Ostasienkunde".

Dieser Band enthielt eine "Sammlung literarisch-wissenschaftlicher Arbeiten deutscher Kriegsgefangener in JAPAN". Den Anhang (S. 262-275) bildete der hier wiedergegebene "Kurze Bericht" einer Autorengruppe um Hermann Bohner, der – wenngleich ausdrücklich auf ostasienbezogene Tätigkeiten beschränkt – einen guten Einblick in die Aktivitäten im Lager Bando vermittelt.

Rechtschreibung und Layout des Berichts hat der Redakteur behutsam angepasst, Abkürzungen aufgelöst und Anmerkungen in [ ] oder als Fußnote hinzusetzt.1

Inhalt:
I. Chinesische Abende
II. Unterricht [= Chinesisch, Japanisch]
III. Wirtschaftliches
IV. Unsere Arbeitsmappe
V. Zeitungen


 

I. Chinesische Abende
[Autor: F. Solger]

Einer Anregung aus dem Lager folgend, begann ich bald nach unserer Übersiedlung nach Bando, am 14. Mai 1917, unter Mitwirkung andrer Kameraden eine Reihe von einstündigen Vorträgen über die Natur von Chinas Land und Menschen, die als "Chinesische Abende" bezeichnet wurden und zweimal wöchentlich in der Vortragsbaracke stattfanden.
In 35 Abenden wurde bis Ende Dezember 1917 der nachfolgende Gedankengang durchgeführt:

Die ersten 5 Vorträge brachten eine kurze geologische Übersicht. Sie stellten die heutigen Bodenformen als Ergebnis von drei grossen Faltungen in der Tertiärzeit dar und schlossen daran einige Erläuterungen über die Verteilung der wichtigsten Bodenschätze. Die vom Vortragenden entwickelte Auffassung wurde der bisherigen Richthofenschen Darstellung2 gegenübergestellt und nach Möglichkeit die Art und die Gründe der Verschiedenheiten erläutert. Besonderes Gewicht wurde auf die Schilderung der Lebensbedingungen in China während und nach der mit der europäischen Eiszeit zusammenfallenden Steppenzeit gelegt, weil sie die Grundlagen für die chinesische Geschichte ergeben haben. Der Vortragende versuchte zu zeigen, dass die Dürre der Steppenzeit die Chinesen auf einen kleinen Raum im Wei-Tale zusammendrängte, wo sie ihre Entwicklung zu dem besonderen Volke durchmachten, das dann der Träger der chinesischen Geschichte wurde. Noch die Geographie des Yükung3 (6. Abend), die mit von Richthofen um 2000 v. Chr. angesetzt wurde, zeigt die Lebensbedingungen in China wesentlich anders als heute. Unter Zuhülfenahme geologischer Überlegungen wurde das Gebiet des dort beschriebenen China erheblich enger gefasst, als Richthofen es tut; es wurde auf die beiden Abhänge des Tsin ling shan und auf die grosse Ebene zwischen dem als offene Meeresbucht zu denkenden und der damals ebenfalls noch unter Wasser stehenden Niederung von Poatinfu und Tientsin beschränkt.

Daraus ergaben sich dann Folgerungen über die Heimat der Chinesen und ihre ersten Wanderungen (7. Abend). Die Ur-Heimat wurde im Wei-Tale angenommen, während die von Richthofen als Rest der in der Heimat gebliebenen Chinesen angesprochenen Spuren einer altchinesischen Bevölkerung in Turkestan als koloniale Vorposten der Bewohner des Wei-Tales gedeutet wurden. Diese Betrachtungen schlossen mit der Gegenüberstellung der Chinesen und der sie in der Urzeit umgebenden Völker der indogermanischen Tocharen in Turkestan, der verschiedenen Altaivölker und der Völker südlich des Yangdse.

Am 8. und 9. Abend gab Tiefensee ein Bild von der altchinesischen Kultur, soweit die Erforschung der Schrift Licht auf sie wirft. Am 10. und 11. Abend sprach ich über die Sagenzeit der chinesischen Überlieferung und die ersten Reichsbildungen. Ich betonte den Übergang zu immer straffer organisierten Zuständen unter jeweiliger Führung der in Grenzkämpfen gegen die Nachbarvölker militärisch erstarkten Randteile des chinesischen Volkes. Dabei liegt die kämpfende Front beim Emporkommen der Hsia- und Shangdynastie im Süden, gegen den Hwai und Yangdse; dann aber drängen die Altaivölker immer stärker heran und machen Shensi zum Hauptkampfgebiet und damit zu der Herrscherwiege, aus der zuerst die Dshou, dann die Tsin hervorgehen. Nachdem ich am 13. Abend einen Überblick über die durch die Völkerwanderungen neu geschaffenen Rassenverhältnisse während der geschichtlichen Zeit gegeben und die Entstehung und Bedeutung der Tungusen darzulegen versucht hatte, übernahm Vissering in 7 weiteren Abenden die Darstellung der chinesischen Geschichte bis zum Opiumkriege, d.h. bis zu dem Beginn entscheidender politischer Einwirkungen vonseiten der Europäer. An diesem Punkt schlossen wir die bis dahin gewählte geschichtliche Betrachtung zunächst ab, indem ich am 20. und 21. Abend einen Rückblick auf die chinesische Geschichte warf, um durch einen Vergleich mit der europäischen Entwicklung die wesentlichsten Gegensätze beider mit der geographischen Lage und den Rasseneigentümlichkeiten zu begründen. Diese Rasseneigentümlichkeit der Chinesen wurde in den folgenden Abenden durch eine Charakteristik der chinesischen Gelehrsamkeit (23. Abend) und der chinesischen Religion (24. Abend) erläutert, wobei die zentrale Bedeutung der Ahnenverehrung betont wurde. Dann rundete Mahnfeldt in drei Vorträgen das Bild vom chinesischen Charakter ab durch eine Betrachtung über die chinesische Kunst, insbesondere die Malerei.

Die nächsten Abende stellten die Landesnatur Chinas zusammenfassend dar. Sie begannen mit der Bodenbildung (28. Abend), wobei der Löß eingehender besprochen wurde. Dann folgten das Klima und die damit zusammenhängenden Bewässerungsverhältnisse (29. Abend), und hierauf übernahm es Klautke, in drei Abenden (30.-32.) die Pflanzenwelt und Tierwelt Chinas zu kennzeichnen mit besonderer Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Bedeutung.

Den Abschluss bildete eine verkehrsgeographische (33. Abend) und eine siedlungsgeographische (34. Abend) Übersicht und darauf ein Abriss der wechselvollen Geschichte Chinas im 19. Jahrhundert (35. Abend).

Nach Neujahr 1918 wurden die chinesischen Abende fortgesetzt, indem einzelne Provinzen Chinas behandelt wurden. Bis zum Anfange des Sommers war die Betrachtung der Küstenprovinzen durchgeführt, wobei Wannags aus seinen persönlichen Beobachtungen in der Provinz Kwangtung ein lebendiges Bild von den dortigen Volksstämmen entwarf.

Auf besonderen Erörterungsabenden fanden auch andere Kameraden Gelegenheit, über ihr Leben in China und das dabei Beobachtete zu berichten. Es sprachen:
Arps (W.) über deutsche Arbeit in Ping Hsiang,
von Gimborn über die Eisenerzgruben von Ta yeh,
Heimann über Bergbau in Tongking und Yünnan,
Hirsch (Fw.) über Seidenindustrie in Schantung,
Lindner über deutschen und chinesischen Bergbau in Schantung,
Modde über chinesischen Bergbau in Honan,
Schulz (Bootsmannsmaat) über Fahrten mit S.M.S. Tsingtau auf dem Westfluss,
Schwengenbecher über die Schantungbahn.

Als die Sommerhitze einsetzte, unterbrachen wir die Vorträge. Später sind sie dann nicht wieder aufgenommen worden.

Der Vortrag wurde nach Möglichkeit durch Karten und graphische Darstellungen erläutert. Die Zuhörer bekamen kurz vor dem Vortrage eine kurze gedruckte Übersicht über das Thema des Abends in die Hand. Die Zahl der Zuhörer betrug im Anfang etwa 300. Als sich aber die Darstellung mehr in Einzelheiten vertiefte und andere Abendunterhaltungen sich in Bando ausbildeten, ließ der Besuch naturgemäß nach. Dafür wurden die Bleibenden umso treuere Teilnehmer, und gegen 80 Kameraden haben bis zuletzt einen festen Stamm von Zuhörern bei den Vorträgen gebildet, die im übrigen jedem Lagerinsassen frei zugänglich waren.
 

II. Unterricht
a) [Autor: Franz Tiefensee]

Der Unterricht im Chinesischen begann mit Kursen im Anschluss an Lessing-Othmer4 im Frühjahr 1915, und es liefen später verschieden gestaffelte Unterrichtsgänge nebeneinander, verbunden mit mündlichen Unterhaltungen in Chinesisch. Gleichzeitig wurden Stücke aus chinesischen Romanen, Novellen und dergleichen in Umgangssprache übersetzt. Darauf machte sich ein Kursus an die Schriftsprache und arbeitete das Lesebuch für chinesische Schulen durch, und zwar sowohl das für Elementarschulen als das für gehobene Schulen. In der Konversation wurde höher hinauf der Stoff der chinesischen Handelsgeographie, der Warenkunde und der kaufmännischen Gespräche aus dem Guan-hua-dse hi-nan5 verwendet. In der chinesischen Schriftsprache bewältigte man den Briefstil und las in chinesischen Zeitungen.

Mit diesen Kursen stehen folgende Bücher und Manuskripte in Zusammenhang:
1) Einführung in die chinesische Schriftsprache unter Benutzung des chinesischen Lesebuches für Volksschulen, zugleich Einführung in den chinesischen Briefstil und in die Zeitungssprache.
2) Lesebuch zur chinesischen Literaturgeschichte.
3) Allerlei Stoffe für Konversation in chinesischer Sprache.
4) Wegweiser durch die chinesischen Höflichkeitsformen.
5) Chinesisch-Deutscher Sprachführer für Kaufleute. I. Bd.: Geschäftsgründung. II. Bd.: Geschäftsführung. III. Bd.: Warenkunde. IV. Bd.: Produktengeographie. V. Bd.: Alphabetischer Sprachführer.

Ebenso fanden Unterrichtskurse in Kantonesisch und im Shanghai-Dialekt statt.

b) [Autor: Kurt Meissner]

Beim Unterricht im Japanischen lagen andere Verhältnisse als beim Unterricht im Chinesischen vor. Zahlreiche Kameraden hatten schon vor dem Kriege längere Zeit in Japan gelebt und sprachen die Landessprache mehr oder weniger gut. Dagegen gab es niemanden, der die Schrift oder die Schriftsprache beherrschte. Man musste, je nach dem Grade des Könnens, Gruppen bilden. Die Klassen wurden zahlreich, die Schülerzahl der einzelnen Klassen gering.

An Lehrbüchern waren die von Lange und Plaut6 vorhanden. Plaut schien uns für Anfänger wenig geeignet; die Übungsstücke sind von Anfang an zu schwer; es kommen zu viele seltene und ungebräuchliche Vokabeln vor. So hielten wir uns in den ersten Jahren der Gefangenschaft an Lange. Dass wir schliesslich (1916) doch von Lange abgingen und ich selbst von Stunde zu Stunde Unterrichtsbriefe abfasste, hatte mehrere Gründe meist lokaler Natur, denn für den grossen Anfängerkursus fehlte die genügende Anzahl Lehrbücher; überdies ist Langes Lehrbuch teuer, namentlich für Kriegsgefangene. Endlich aber schien mir in einem hauptsächlich für Kaufleute bestimmten Unterrichtsgange manche Änderung geboten.

Die Kenntnis der Anfangsgründe der Schrift erwarb sich der einzelne meist für sich, und zwar an Hand der Lehrbücher der japanischen Elementarschulen. Mit Fortgeschrittenen übte ich Zeitunglesen und ließ nach Diktat schreiben. Dies und die tägliche Übersetzung der Kriegstelegramme zwang uns, die Grammatik der Schriftsprache zu studieren. Ich übersetzte deshalb Prof. Y. Hagas Grammatik "Gendai Bunten"7 und verfasste dann selbst ein kleines Lehrbuch mit Übungsstücken aus den japanischen Elementarschul-Lesebüchern, Zeitungen usw.

Mit einem kleinen Kreise von Kameraden trieb ich sodann (1918) japanische Erdkunde und übersetzte, um einen Leitfaden zu haben, zwei japanische Lehrbücher für Seminare und Mittelschulen ins Deutsche. Diese Übersetzung wie auch mein Unterrichtsgang für die japanische Umgangssprache wurden in der Lagerdruckerei Bando gedruckt; doch wurde die Auflage auf die Zahl der Interessenten im Lager beschränkt, da beide Arbeiten nur für den Unterricht im Lager, nicht aber für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Während in den ersten Jahren nur wenige Gefangene Lust hatten, Japanisch zu lernen, wuchs später das Interesse, und mehrere Kameraden, insbesondere H. Steinfeld, gaben im gleichen Sinne Unterricht.

c) [Autor: Hans Tittel]

In Marugame begann der Unterzeichnete im Dezember 1914 einen Kursus in Nordchinesischer Umgangssprache mit anfangs 40 Teilnehmern. Zugrunde gelegt wurde dabei das damals dort einzig vorhandene Lehrbuch: Mohr, Chinesische Unterrichtsstunden.8 Aus vielen Gründen ließ allmählich das Interesse nach: Der Kursus bestand nach etwa einem Jahre nur noch aus 10-15 Mann, die indessen wacker durchhielten (2 Stunden wöchentlich). Zur Ergänzung des Wortschatzes, besonders der Schriftzeichen, wurde ein für chinesische Schulen herausgegebener Satz von "1000 Zeichen" auf einzelnen Blättchen (herausgegegeben Commercial Press, Shanghai) erklärt und eingehend durchgesprochen. Im Anschluss daran wurden gelegentlich Stücke aus andern Lehrbüchern durchgenommen, ferner ein Volksschullesebuch ganz gelesen. Töne und Konversation wurden aus naheliegenden Gründen wenig berücksichtigt. Der Unterzeichnete ging in der Hauptsache nur helfend und anweisend zur Hand; die Hauptarbeit war dem Fleisse und der Einsicht der Schüler überlassen. Immerhin haben sich nach diesen Anfängen etwa 10 Teilnehmer noch soweit selbständig fortgebildet, dass sie zum Verständnis der Schriftsprache gelangten. In kleinem Kreise wurden daran anschliessend Zeitungsausschnitte gelesen (mit Erklärungen schriftlich ausgearbeitet.)

Zur Einarbeitung in klassisches Chinesisch begann der Unterzeichnete 1916 mit 5 fortgeschrittenen Kameraden die Lektüre des Lun Yü.9 Als Text diente eine gute japanische Ausgabe mit dem Kommentar des Chu Hsi; zur weiteren Hilfe für den Leiter: 3 chinesische Ausgaben, die englisch-chinesische Ausgabe von Legge, die deutsche Übersetzung von R. Wilhelm, eine chinesisch-mandschurische Unterlinear-Ubersetzung, die in allen Zweifelsfragen den Ausschlag gab. Der gesamte Text wurde eingehend durchgenommen, alle Angaben des Kommentars Chu Hsi gebührend berücksichtigt. Da zwei Teilnehmer nur Südchinesisch sprachen, konnte auf Aussprache kein Wert gelegt werden. Umsomehr wurden Stilistik, Geschichte, soziale Verhältnisse, Ethik usw. berücksichtigt.

Vom Sommer 1917 ab begann der Unterzeichnete in Bando in verschiedenen kleinen Kreisen (je 2-5 Mann) japanischen Unterricht zu erteilen, und zwar zunächst allein aufgrund der amtlichen Volksschulfibeln. Dieses System ist besonders zu Anfang oft langweilig und mühsam; es führt aber den Schüler auf einfachem, natürlichem Wege sicher in die Sprache ein und erleichtert besonders die Aneignung der Schrift ganz beträchtlich. Die 12 Lesefibeln wurden gemeinsam mit Herrn H. Grossmann schriftlich durchgearbeitet, übersetzt und erläutert (in der Lagerdruckerei vervielfältigt). Allerdings gelang bis zur Schriftsprache sich durchzuarbeiten und später Zeitungslektüre zu treiben nur wenigen Teilnehmern dieser Kurse; aber auch eine nicht so weit gedrungene Beschäftigung mit der Sprache bzw. Kenntnis derselben wird von Wert sein.

d) [Autor: Erich Kleinschmidt]

d) Der Wunsch, die erworbenen Kenntnisse der chinesischen Schriftsprache an aktuellen, das Interesse lebendig erhaltenden Stoffen zu üben und zu erweitern, führte im Herbst 1917 bei einigen 20 Kriegsgefangenen zu dem Gedanken gemeinsamer Lektüre chinesischer Tageszeitungen. Von Anzeigen, kurzen Meldungen und Berichten ausgehend, gelangten die meisten Teilnehmer während des mit einer Wochenstunde bis Herbst 1918 fortgesetzten Kursus zum Verständnis schwierigerer, auch nicht interpunktierter Texte wie Leitartikel etc.

Der auf Schritt und Tritt als starke Hemmung empfundene Mangel eines Wörterbuches für die Wortkomposita der modernen chinesischen Schriftsprache ließ den Gedanken entstehen, selbst den Grundstock zu einem solchen Lexikon zusammenzutragen. Diese geplante Wörtersammlung hat nicht ganz zu dem erstrebten Ziele geführt, da von Herbst 1918 an das Interesse merklich erlahmte. Das Ergebnis liegt in der in Bando vervielfältigten "Sammlung chinesischer Mehrsilber" vor.10
 

III. Wirtschaftliches
[Autor: Siegfried Berliner]

Da die in Marugame geplanten Handelshochschulkurse aus gewissen Gründen nicht abgehalten werden konnten, habe ich wiederholt in kleineren Kreisen sowohl in Marugame als auch später in Bando Kurse, Übungen, Besprechungen in ostasiatischen Wirtschaftsfragen abgehalten. Für Buchführungskurse wurden Geschäftsgänge aus dem China Export- und Import-Geschäft zu Grunde gelegt, die Gelegenheit zur Erörterung von Einzelfragen gaben.

Das Material zu folgenden Arbeiten entstammt zum Teil solchen Diskussionen:
– Organisation und Betrieb des Import-Geschäfts in Japan
– Organisation und Betrieb des Import-Geschäfts in China
– Organisation und Betrieb des Export-Geschäfts in China
– Organisation, Betrieb und Technik des Seeschifffahrts-Geschäfts in China
(Die Arbeiten erscheinen im Verlag der Hahn'schen Buchhandlung, Hannover.11)
 

IV. Unsere Arbeitsmappe
[Autor: Hermann Bohner]

Sommer 1918 kam der Gedanke auf, es möchten diejenigen Einzelnen, die aus dem Japanischen oder Chinesischen oder sonst einer Sprache des Ostens übersetzen oder Zusammenstellungen aus diesen Gebieten machten bzw. Aufsätze verwandter Natur schrieben, ihre Arbeiten den in gleicher Richtung Arbeitenden zugänglich machen zum Zwecke gegenseitiger Förderung. So wurde denn vom 1. Juli 1918 ab wöchentlich eine Mappe mit 3-4 Beiträgen unter den Beteiligten in Umlauf gegeben. Die Schriftleitung lag in den Händen des Unterzeichneten.
Vorwiegend kleinere Arbeiten dieses Kreises zeigt vorstehendes Buch gesammelt. Das darin eingereihte Singspiel "Des Kaisers Tochter wurde geschlagen" ist eine Probe aus einer Reihe chinesischer Singspiele*12, deren Übersetzung K.A. Bredebusch übernahm ("Eine Kriegslist Kung Ming's", "Er sitzt im Frauenhause und möchte die Gattin umbringen", "Den Rock des Kaisers schlagen", "Die Lampen der sieben Sterne" und weitere). Hierzu wurden, wenn erforderlich, erläuternde Übersetzungen aus der "Geschichte der drei Reiche" und ähnlichem beigefügt.

Märchen wurden zahlreich in Angriff genommen, begreiflicherweise auch gerade solche größeren Umfangs, zwar alt und wohlbekannt, aber besonders kunstvoll erzählt: "Affe- und Krabbenkrieg", erzählt von Oeno Sasanami, "Der Spiegel von Matsuyama", erzählt von Iwaya Sasanami, beide übersetzt von H. Grossmann; "Der Sperling mit der abgeschnittenen Zunge", erzählt von Iwaya Sasanami, übersetzt von H. von der Laan.
Timm übersetzte die Vitale'sche Sammlung "Kleiner lustiger chinesischer Erzählungen"* mit ihren heiteren Einblicken in das chinesische Leben.
K. Meissner wandte sich vor allem dem Rakugo zu und führte uns in einer ausgedehnten Reihe* Land und Leute Japans von einst und jetzt anschaulich vor: Samurai und niederes Volk, in der Fähre zusammentreffend, in "Gauriujima," Daimyopracht und die Freuden und Sorgen des kleinen Geschäftsmanns in "Die Feuertrommel", Altenteiler und kleine Leute im Gegenspiel zu der hohen Sitte der "Teezeremonie", Ehestücke in "O-Fumi-sama" und "Die des Lesens und Schreibens unkundige Frau", Diebesstücke in "Zu vermieten", altes Kleinstadtbild in "Das zweite Dekokt," das typische Familienbild in "Fukurokuju", Künstler- und Erzählertum selbst in "Der Trommelbauch" und "Der niesende Heldenerzähler", Fuchsglauben in "Vom Fuchse besessen" und so fort.
Auch Steinfeld übersetzte Rakugos ("Vorbeigelobt", "Die Menagerie" und weitere).
H. Tittel gab fortlaufend eine Darstellung des Landes Awa, inmitten dessen das Gefangenenlager Bando gelegen ist: Bodengestaltung, Bodenschätze, Stadt und Land, Geschichtliches. Er schrieb eine Abhandlung über das japanische Ringen.
Fünf Kameraden fanden sich zusammen (A. Barghoorn, E. Keyssner, H. v. d. Laan, G. Rudolf, E. Simonis) und übersetzten ein Werk*, welches das japanische Leben Monat um Monat in seinen Einzelheiten schildert: Landschaft und Wetter, Blumen und Vögel, die Arbeiten des Landmannes so gut wie die Zeremonien im Palast, Gebräuche, Feste, Sitten, Vorstellungen.
K. Meissner verfasste eine Monographie über das Tanabata-Fest*, in deren Verlauf er alle Tanabata betreffenden Gedichte des Manyoshu, Kokinshu, Schinkokinshu und Kinkwaishu übersetzt gab und u.a. auch hiesige Gebräuche und mündliche Überlieferung in Betracht zog. Er sammelte ferner alles für uns Erreichbare über den Dachsglauben*: mündliche Überlieferungen, Rakugos, Märchen. Unter anderem übersetzte er bzw. gab er im Auszug die dickleibige "Seltsame Geschichte aus Shikoku: Der Krieg der alten Dachse. Eine wahrheitsgetreue Überlieferung, mündlich vorgetragen von Kanda Hakariyu, stenographiert von Maruyama Heijiro".

Die damit gegebenen Anregungen führten fort zu Vorträgen gelegentlich der einmaligen monatlichen Zusammenkünfte.
Der Unterzeichnete sprach hier über den literarischen Eindruck chinesischer Märchen.
Prof. Dr. Solger gab "Astronomische Anmerkungen zu chinesischen Märchen".
Tiefensee behandelte in dem gegebenen Zusammenhange die sagenhafte chinesische Urgeschichte und gab sodann in mehreren Aufsätzen Teile eines Grundrisses der chinesischen Mythologie*, "Stern- und Wettersagen im Gewande chinesischer Erzählungen", "Der Metallspiegel in der Sage", "Stellung der Schildkröte in der chinesischen Mythe und Geschichte", "Die Mondgöttin Tschang-0 und ihr Kreis", "Der Wind- und Wettergott Ping-J und sein Kreis". Ebenso gab er, wovon an anderer Stelle die Rede, fortlaufend Proben aus der chinesischen Literatur*. Er schrieb "Über altchinesische Schrift und Kultur"*.
Der Unterzeichnete versuchte eine Einführung in die Betrachtung japanischer Gedichte, kompilierte aus den hier erreichbaren Werken eine Gegenüberstellung des über japanische und des über chinesische Lyrik Gesagten und, gelegentlich uns von auswärts zugesandter neuer No-Übertragungen, eine Material-Zusammenstellung über japanisches und chinesisches Theater.

Vorträge des vergangenen Winters wurden, z. T. erweitert, schriftlich niedergelegt und in Umlauf gegeben:
– P. Klautke, "Über Pflanzen- und Tierwelt Chinas"*,
– M. Wannags, "Die Cantonprovinz," zwei Vorträge, wozu der Unterzeichnete aus Giles eine Zusammenstellung der Aussprachen der mit l, r anlautenden Silben des Chinesischen anfertigte, ferner
– Kurt Schäfer "Russlands Ausbreitung in Sibirien."
Skizzen zu Diskussionsabenden:
– H. Eggebrecht "Über Nomadismus",
– Lindner "Bergbau in Schantung".
Umfangreiche Materialzusammenstellungen unternahmen
– E. Vockerodt, "China und das Ausland", "Spinnstoffe in China,"
– C. Schwengcnbecher "Statistisches aus Chinas Volkswirtschaft", "Wirtschaftliches aus Schantung", "Die Eisenbahnen in China."
Barth verfasste eine eingehende Arbeit, aus japanischen Quellen gezogen, "Über die Mineralreichtümer Chinas"*.
Artikelfolgen, aus Zeitungen übersetzt, gaben gelegentlich gute Ergänzungen:
– H. Grossmann "Tsingtaus Handel, Schiffahrt und Industrie" (Osaka Asahi), "Ein Streifzug durch Schantung" (Osaka Mainichi), "Über Chinesische Schrift und Kultur" (Osaka Mainichi Okt./Dez. 1918),
– E. Baerwald "Die japanische Farbenindustrie" (Osaka Mainichi Juli 1918),
– M. Schwarm "Geschichtliche Plauderei über die chinesisch-deutschen Beziehungen" (Bank- und Handelszeitung Canton März 1917).
Eine Probe japanischer Schundliteratur gab Tittel in "Erzählungen aus dem Weltkrieg, Heft 8: Eine Festungstragödie."
Lagerangelegenheiten betraf Nishida »Die nach deutschem Muster eingerichtete Tomita-Viehzüchterei«, übersetzt von Grossmann.
Aus dem Russischen übersetzte K. Schäfer eine von der "Gesellschaft zur Erforschung des Amurgebiets" 1887 herausgegebene kurze Abhandlung über "Funde von prähistorischen Abfallhaufen am Ufer des Amurbusens beim Bache Sedjimi" (bei Wladiwostock).

Endlich fand auch hier das dem Sprachlichen zugewandte Interesse seinen Ausdruck. Neben der kurzen Ausführung über die Sprache der Ainu auf Sachalin gab Tittel eine gediegene Übersicht über das Mandschurische und einen Abriss des Koreanischen, von Costenoble arbeitete eine Chamoro-Grammatik aus. Von Tiefensees lexikalischem Werke »Chinesisch-Deutsches Wörterbuch in ethymologischer Anordnung der Zeichen« ist an anderer Stelle die Rede.

Ein Verzeichnis sämtlicher im Lager verfügbaren Bücher über den Osten wurde angelegt. Neu eingetroffene Bücher, Übersetzungen anderer und ähnliches sowie die eine oder andere japanische Zeitschrift lag der im Umlaufe befindlichen Mappe bei. Gelegenheit, Holzschnitte und dergleichen zu betrachten, wurde gegeben.
 

V. Zeitungen
[Autor: Hermann Bohner]

Wie erwähnt, wurden die Telegrammnachrichten aus den japanischen und auch aus chinesischen Zeitungen übersetzt zum Zwecke eines schnellen Nachrichtendienstes (Matsuyama: Hauptmann Stecher, Tiefensee, Meissner, Baerwald; Marugame: Grossmann, Tittel; Tokushima: Werner). Hieraus entstand in dem grösseren und beweglicheren Bando ein regelmässiges, von der Lagerdruckerei herausgegebenes Tagblatt, der T.T.B. ("Täglicher Telegrammdienst Bando", übersetzend: Werner, Grossmann).

Erwähnung verdient ferner die Arbeit, die in allgemeinverständlicher, über Dinge des Ostens belehrender Art vonseiten der Wochenschriften geschah: einem aktiven Kreise gegenüber vonseiten des "Tokushima-Anzeigers", für ein anders geartetes Publikum von Seiten des "Lagerfeuer" Matsuyama, dessen Fortsetzung, die Bandoer "Baracke", wieder auf breiterer Basis zu wirken suchte. Aus der Menge hierher gehöriger Artikel seien Beispiele genannt:
a) lokale Anschauung benutzend im "Lagerfeuer": "Allerlei aus den Straßen Matsuyamas", "Das Puppenfest", "Das Knabenfest", "Jahreszeitenwechsel" über einige Artikel des hiesigen Museums"; in der "Baracke": „Die Umgegend von Bando", "Verwaltung und Wirtschaft im Itanokreis", "April im Lande Awa", "Ein Besuch in der Schule zu Bando", "Die Daimyogräber von Tokushima", "Schikokusalz";
b) "Japans Handelsschiffbau", "Japans Hochöfen und Stahlwerke", "Chinas auswärtiger Handel 1917", "Ist China übervölkert?";
c) "Geologische Vorgeschichte Chinas", "Vorgeschichte der Chinesischen Revolution".

In dankenswerter Weise unternahm es Hauptmann Buttersack, im "Lagerfeuer" zum Zwecke der Erinnerung ein abgerundetes Bild von Matsuyama zu schaffen:
I. Geographie, Klima, Stadt und Umgebung;
II. Tier-und Pflanzenwelt (von P. Klautke),
III. Geschichte und Volk, Religion;
IV. Gewerbe und Handel; staatliche und städtische Einrichtungen.

Besonderer Hervorhebung wert sind die Erinnerungen: Susemihl "Meine Reise von Kanton über Land nach Tsingtau 7. August bis 7. September 1914." K. S. "In Wladiwostock bei Kriegsausbruch".

Hier sei auch noch einer anderen Sache Erwähnung getan. Von Seiten der Hamburger des Lagers wurden alle erreichbaren japanischen Bücher und Zeitschriften gesammelt, soweit diese den Krieg betreffen; ebenso japanische Ubersetzungen deutscher, amerikanischer, belgischer Kriegsbücher. Besonders sehenswert sind die gesammelten Kriegsbilderbogen.13 Um dieses Material auch später deutschen Forschern zugänglich zu machen, wurden zu allen japanischen Büchern Ubersetzungen bzw. ausführliche Inhaltsangaben gefertigt. Die Sammlung wurde der Hamburger Stadtbibliothek übergeben.14
 

Anmerkungen

1.  Der Originaltext kann unter http://www.oag.jp/digitale-bibliothek/mitteilungen-original/ herunter geladen werden.

2.  Solger bezieht sich hier auf die von Ferdinand von Richthofen im ersten Band seines China-Werks entwickelte Theorie.

3.  Beim "Yükung" handelt es sich um die älteste chinesische Reichsgeopraphie.

4.  Ferdinand Lessing & Wilhelm Othmer, Lehrgang der nordchinesischen Umgangssprache, Tsingtau: Schmidt, 1912.

5.  Noch nicht identifiziert.

6.  Rudolf Lange, Lehrbuch der japanischen Umgangssprache, Stuttgart: Reimer, 1890 (2. Aufl. 1906); Hermann Plaut, Japanische Konversations-Grammatik, Heidelberg: Groos, 1904.

7.  Yaichi Haga, Chuto kyoka gendai bunten, Tokyo: Fuzanbo, 1912.

8.  Friedrich-Wilhelm Mohr, Deutsch-chinesische Unterrichtsstunden, Tsingtau: Haupt 1914.

9.  Besser bekannt unter dem Titel "Gespräche des Konfuzius".

10.  Mit mehr als 1000 Seiten das umfangreichste Buch, das in einem japanischen Lager gedruckt wurde.

11.  In den 1920er Jahren erlebten viele Werke Berliners eine Neuauflage bei der Hahnschen Buchhandlung.

12.  Fußnote im Original: "*) bezeichnet die zum Druck fertigen bzw. später im Druck erscheinenden Werke."

13.  Vermutlich sind hier die Lithographien gemeint, die von Verlagen wie Shobido während des gesamten Weltkrieg – und darüber hinaus bis zur sibirischen Intervention – produziert wurden.

14.  Leider fielen große Teile der Sammlung dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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