Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Kriegsereignisse

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»Ein Tag in Tschan-Tschan«

»von Karl Bähr — seinen Kameraden vom III. Zug der 6. Kompanie zur Erinnerung«
 

Vorbemerkung:
Der Gefangene Karl Bähr ist Lesern, die sich mit dem Lager Bando beschäftigt haben, bekannt durch seinen Vortrag »Schlagschatten« am Abschiedsabend der 6. Kompanie.
Nur wenigen dürfte bekannt sein, dass Bähr auch Verfasser eines kleinen, 1028-zeiligen ›Vers-Opus‹ ist. Komprimiert auf einen Tag, jedoch mit Exkursen, stellt er dar, was er im September 1914 mit dem 3. Zug seiner Kompanie in der deutschen Stellung beim Dorf Tschan-tschan erlebte. Uns steht kein Urteil über die ›dichterische Qualität‹ des Werks zu, dessen Niederschriftstermin nicht bekannt ist. Der Tagesablauf ist jedenfalls sehr realistisch und glaubhaft dargestellt, und die Namen seiner Kameraden geben Auskunft über ihre Zugehörigkeit zum 3. Zug, der von Reserveleutnant Solger geführt wurde.

Der maschinengeschriebene, d.h. transkribierte Text, der hier wiedergegeben wird, gehörte zum Nachlass von Hans Lautenbach, dessen Erben ich für die Kopie danke.1
Der Textkörper wird unverändert wiedergegeben, orthographische Eigenheiten wurden stillschweigend korrigiert. Der Redakteur hat für Zitierzwecke eine Nummerierung vorgenommen und Anmerkungen in Fußnoten ans Ende gestellt.
 

[1]
Geblitzt, gedonnert und gekracht
Von unseren Batterien
Hat es die lange dunkle Nacht.
Sie hielten treu wie Hagen Wacht.

Vom Tagwerk müde, still und stumm,
Stumpf uns're Sinne. Traumverloren.
Wir hörten nichts. Gesumm – Gebrumm –
Verloren geht es unseren Ohren.
So liegen wir in kahlen Räumen
Auf dumpfen Stroh, eng, wie vernichtet,
Derweilen die Seele sich in Träumen
In längst vergangene Tage flüchtet,
Von denen wir so weit – so weit.
In Stiefeln, stets alarmbereit.
So liegen wir nun Nacht für Nacht.

Da ist ein Kamerad erwacht.
Er fährt vom Lager jäh empor
Vom Frost geweckt, und über's Ohr
Zieht er die Decke. Flucht und gähnt.
Und schüttelt sich und streckt und dehnt
Die steifen Knochen. Dann entflammt
Ein Streichholz er – O weh! Verdammt,
Schon kurz nach drei. Halb fünf ist Wecken.
Und wieder kommt aus allen Ecken
Auf ihn die schwere Dunkelheit
Voll Trost in ihrem schwarzen Kleid.
Im Raume rings nur Schnaufen – Pusten
Dort Stöhnen – da vereinzelt Husten.

[2]
Ein Heulen draußen, Eisenrasseln,
Ein Dröhnen, Beben, Hageln, Prasseln.
Und grausig schön zwei Dörferbrände,
Zusammengeschossen im Vorgelände.

Zwischen I.W. eins und I.W. zwei
Ein Nachtgefecht, Schießen – verworren Geschrei.
Scheinwerfer suchen und tasten im Dunkel.
Vom kalten Himmel Sternengefunkel.
Maschinengewehrknattern. Leuchtkugeln erhellen
Das Feld. Im Dorfe die Hunde bellen.

Sieben vorbei. Der Angriff abgeschlagen.
Wie lange noch? Wer kann es sagen?

[3]
Vier Uhr 30 ist's. Die Frist verrann.
Zagend und tappend naht ein Mann.
Die Türe knurrt. Er tritt herein.
Ein Licht steckt er an. Der schwache Schein
Fällt auf müde Gesichter und dünnen Decken.
Fast tut's ihm leid, sie aufzuwecken.

Doch Pflicht ist Pflicht. Wir sind Soldaten,
Denkt er. »'s ist Zeit! Auf Kameraden!«
Doch keiner regt sich. Steif wie Holz
Liegen sie. Über den langen Golz
Stolpert die Wache. »Aufstehn!« heißt's wieder
Und schläfrig öffnen sich die Lider
Der Leute. Blinzeln verschlafen und müde.

»Was?« »Schon wieder raus? Das Gott behüte!«
»Verflucht nochmal,« so sagt der Eine,
»Das alles wegen der Japsen. Die Schweine,
Wegen der Bande.« Und räkelt sich hoch.
Ein anderer denkt: paar Minuten noch
Bleib ich liegen, wir sind zuerst geweckt.
Doch als er sich nochmals reckt und streckt
Schnauzt ihn sein Nebenmann grimmig an,
Wütend, weil aus dem süßen Bann
Des Schlafes gerissen. Still und stumm
Liegt ein Vierter. Macht sich klein und krumm,
Daß ihn der Korporal nicht sieht.
Der ist schon hoch. Durchs Fenster zieht
Es kalt. Schlaftrunken krabbeln wir auf.
»Ja«, gähnt ein Fünfter, »so ist der Lauf
Der Dinge. Es ist nicht zum Lachen,
Doch ist dagegen nichts zu machen.«

[4]
Und stöhnend mit naßkalten Füßen,
Einen faden Geschmack im Munde, begrüßen
Die Leute sich mit bleichem Gesicht.
Unruhig flackert im Räume das Licht.

Der Schritt des Postens ist verhallt.
Mit steifen Fingern wird umgeschnallt.
Mechanisch und dösend macht man die Betten.
Der Korporal sagt: »Ich möchte wetten,
Daß wir beim Appell die Letzten sind.
Die Knarre zur Hand! Los Kinder. Geschwind!«
Und tappend geht's durch den Hof. Freisewinkel
Der macht erst nochmal pinkel-pinkel.
Dunkel lagert Nacht über der Erde.
Mann für Mann, eine stumme Herde,
Warten wir. Der Korporal sagt barsch:
»In zwei Gliedern! Links um! Ohne Tritt marsch!«

Vorm Hause des Leutnants finden die Gruppen
Sich mählich ein. Wie steife Puppen
Steh'n wir. Der Feldwebel meldet dann:
»Dritter Zug, alles da.« »N'Morgen, Leute«
Ruft der Leutnant uns zu. Und wie ein Mann
Tönt's: »N'Morgen, Herr Leutnant!« »Kleemann, heute
Lassen Sie wieder die Stellung besetzen.«
Na, denkt sich mancher, das ist zum Ergötzen.
»Erste Gruppe rechts, links die dritte.
Herr Kleemann, rücken Sie ab, ich bitte!«
»Sie aber, Steffens, gehen direkt
Mit der zweiten Gruppe, möglichst gedeckt,
Nach der Rawine. Die Seesoldaten
Sollen dort die Steine abladen,
Die nachts angefahren. Ruhig und schnell!
Denn in einer Stunde ist es hell!«

[5]
Und nach rechts im raschen Schritte
Entfernt die erste sich und die dritte,
Während die zweite links umschwenkt,
Wobei sie düster der Steine gedenkt.

Die nach rechts geh'n,
müssen noch weiter kriechen
Ehe sie in den Gräben liegen.
Erst immer im offenen Graben entlang
Das Kommende macht einem Angst und Bang.
Und die Hinteren lauschen schon gespannt,
Bis sich einer vorn etwas eingerannt,
Denn jetzt sind wir im gedeckten Gräben.
Jeder empfiehlt einem Höheren sein Leben.
Und sieh! So klein der Katzenstein
Rennt er sich doch sein Köpfchen ein.

Des Vordermanns Koppel in der Linken,
In der Rechten die Knarre – gebückt, so hinken
Und stolpern wir weiter. Da endlich ein »Halt!«
»Nehmt Stellung.« Durch die Scharten recht kalt
Der Morgenwind. »Ab die Mündungsschoner!«
Zerstreut vergißt das natürlich der Bohner.
Dann aber legt man sich bequem
Lang auf den feuchten kalten Lehm.
»Aufsitzend auf die Mauer zielen!«
Wohin dann alle krampfhaft schielen.
Wie muß der Seesoldat sich plagen
Frühmorgens schon mit leerem Magen!

[6
Mit Herrn Steffens all die andern
Hin nach der Rawine wandern.
Auf der Straße steh'n zwei Wagen
Voller Steine. Und nun tragen
Alle Leute, jetzt schon munter,
Jene zu dem Bau hinunter.

Aus der Küche weht Kaffeeduft
Durch die frische Morgenluft.
Und hier oben ist's so kalt.
Riedel, Jäger, Schenk und Alt
Sind als Köche schon recht fleißig.
»Donnerwetter ist das eisig!«
Dreyfuss, Fischer, Geschke, Hummel,
Die riskieren einen Bummel
Nach der Küche. Doch im Grimme
Tönt des Steffens helle Stimme.
Gott, wie muß der Mensch sich plagen
Morgens schon mit leerem Magen.

 Doch ein Ende hat der Schmerz
 Und jedes Soldatenherz
 Schlägt höher, jeder fühlt mit Wonne
 Endlich, endlich kommt Frau Sonne.
 Frau Sonne, die du uns geküßt
 Am frühen, kalten Morgen.
 Von Herzen sei von uns begrüßt!
 Vorbei die Nacht, so lang und wüst,
 Vergangen alle Sorgen.
 Mit Schaffensfreude und mit Lust
 Erfüllet uns dein Strahlen,
 Und tiefer atmet jede Brust
 Voll Dank ist jeder sich bewußt.
 Vorbei der Unlust Qualen.
 So wohlig warm, so rein und hold
 Ist nichts auf Gottes Erden
 Als morgens schmeichelnd Sonnengold.
 Dank Dir, Frau Sonne, jeder zollt!
 Es muß ja besser werden!

[7]
»Von der Straße herunter und in die Zelte!
Sonst wird uns noch der Japs entdecken!
Los! Von der Arbeit und der Kälte
Wird Euch wohl nun der Kaffee schmecken!«
Der Leutnant ruft es mit Behagen.
Als wären hinter uns Verfolger,
Verlassen wir die leeren Wagen.
Heil dem Befehl, Herr Leutnant Solger!

Und sieh, da kommen von der Besetzung
Auch die andern an zur Morgenätzung.
Jede Korporalschaft geht in ihr Zelt
Und bildet für sich eine kleine Welt.
Auf dem Tische drei Flaschen, in jeder ein Licht
Werden angezündet. Denn es liegt
Noch Dämmerung über dem kleinen Raum,
Und Pastorini, der sich kaum
In der Hängematte langgestreckt
Wird aus kurzem Schlummer aufgeweckt.
Das Koppel ab. In die Ecke die Knarren.
Mäntel herunter. Stiefelscharren.

[8]
»Der Boy nicht da, so 'ne Bummelei.
Wer hat Stubendienst? Was? Oscar May,
Los! Pflaumenmus und Kaffee holen.«
So hört man's sagen, bitten, grollen.
»May!« »Ist um fünf schon wegmarschiert
Zu Brandt zum Melken kommandiert.«
Da geht der lange Golz von dannen
Mit den klappernden Kaffeekannen.

»Doch falle nicht hin in die Rawine,
Du fällst ja bis in die Latrine.«
So ruft man ihm noch hinterher.
Schnell will inzwischen da der Bähr
Mit raschem Griffe und verstohlen
Den Rum sich aus dem Spinde holen.
»Nichts da! Willst Du denn immer naschen?«
Draußen vor dem Zelte waschen
Ein paar sich. Bohner geht rasieren.
Ja, ja, der Mann hat noch Manieren.

Um die Waschschüsseln tobt der Kampf.
Golz kommt, und lieblich steigt der Dampf
Des braunen Naß uns um die Nase.
Ein jeder füllt sich seine Tasse.
Und auf dem Brot das Pflaumenmus
Macht Appetit. Und mit Genuß
Schlürft man den heißen, kräft'gen Trank.
Ach Gott sei Dank! Ach Gott sei Dank!

[9]
Der allerbeste Seesoldat
Ist vor dem Frühstück doch verdrossen.
Es wird der beste Kamerad
Der Schlimmste, hat er was genossen.
Behaglich Schlürfen, Kauen, Stauen,
Rasch hingeworfen mancher Witz.
Ein Anblick wirklich zum Erbauen
Ist in der Ecke Papa Schmitz.
Wie lacht sein Herz, sein leerer Magen,
Da er die Eier froh genießt,
Mit der Zigarre voll Behagen
Das opulente Mahl beschließt.
Und einer sagt im frohen Kreise,
Vom Tabak hört jetzt eine Weise:

 »Lustig ist der Seesoldat
 Wenn er seinen Tabak hat.
 Ohne Tabak keine Not
 Tabak ist so gut wie Brot.
 Nötiger als Seife
 Ist ihm seine Pfeife.
 Er liebt die Cigarre
 So wie seine Knarre,
 Und schmaucht gern die netten
 Schlanken Cigaretten.
 Wenn der brave Seesoldat
 Viel und gut gefrühstückt hat,
 Und darf dann auch noch rauchen,
 Ist er zu gebrauchen.
 Er geht an sein Tagwerk dann
 Als ein wohlzufried'ner Mann!«

[10]
Schnell wird der Tisch nun abgeräumt
Worauf nach Trinken dann und Essen
Der eine liest, der and're träumt
Vom Hause. Ein paar Mann indessen
Entfernen hin sich zur Latrine.
Mau aber tänzelt zur Kantine,
Zu seinem körperlichen Wohle
Muß Bier her. Bier ist Mau's Parole.
Und schon gar manche Flasche soff er
In dem »Hotel zum Reisekoffer«.
Die Zeit verrinnt, schon ist es sieben,
Gern wären wir noch dageblieben.
Zu schön ruht es sich nach dem Essen.
Indessen naht der Mann der Tressen.
Da hilft kein Fluchen und kein Beten
Wenn unser Weber schreit: »Antreten!«

[11]
So geht es nun seit vielen Tagen,
Seit wir nach Tschan-Tschan kommandiert.2
Und alle Freuden, alle Plagen
Des Dienstes haben wir studiert.

Acht Wochen sind's, als beim Appelle
Der »lange Hans«3 befahl: »Acht Mann
Für Morgen freiwillig zur Stelle!
Zum Arbeitsdienste nach Tschan-Tschan!«
Damals war's schlimm, die Felder schwammen,
Der Regen troff, kein Kuli kam.
Die Gräben stürzten uns zusammen.
Wir waren abends krumm und lahm.

Wenn auf der Stube noch die andern
Sich streckten in dem sicher'n Bord,
Dann mußten wir nach Tschan-Tschan wandern.
Oft ging's mit leeren Magen fort.
Das waren Tage. Kameraden,
Wie starrten wir von Schmutz, o Graus.
Am ganzen Leib kein trock'ner Faden,
Doch alle hielten treulich aus.

Bald Regengüsse, daß wir froren.
Dann wieder heller Sonnenschein.
Bös pfiff der Wind uns um die Ohren.
Den roten Hund bracht's manchen ein.
Vom Morgen bis zum Abend sah man,
Ob Sonne, Regen, einerlei,
Herrn Leutnant Solger und Herrn Kleemann.
Sie standen uns getreulich bei.
Beschwerlich war stets das Marschieren
Am Morgen früh, am Abend spät.
In allen Knochen war's zu spüren.
Zerschlagen kroch man in sein Bett.

[12]
Doch endlich nach zehn weit'ren Tagen
Hieß es, wir bleiben in Tschan-Tschan.
Und Zelte wurden aufgeschlagen
In der Rawine, und sodann
Zog alles ein. Am Boden aßen
Wir wie die Kulis Abendbrot.
Nur Kleemann saß. Und wir vergaßen
Am ersten Abend unsere Not.

Dann schliefen wir in einem Zelte.
Doch sind wir in der zweiten Nacht
Vom Regen und der schlimmen Kälte
Aus unserm Schlummer aufgewacht.
Na, wie uns da die Kleider troffen,
Fast stürzten uns die Zelte ein.
Drauf zogen wir dann halbersoffen
Am nächsten Tag in Tschan-Tschan ein.
Bald kam auch Zuwachs raus aus Tsingtau.
Wir bilden einen ganzen Zug.

[13]
Was wir bisher getan im Kriegsbau
Das war der Arbeit wohl genug.
Schützengraben unter Wasser,
Ausgepumpt. Dann das Grundwasser
Eingedämmt mit Fels und Steinen.
Rheumatismus in den Beinen.

Balken stützen. Cementieren.
Mit dem Spaten dann drainieren.
Ausgebaut die Unterstände,
Nasse Füße, steife Hände.
Treppen bauen. Patronenkasten.
Doch kein Rasten. Neue Lasten
Maschinengewehrstände gegen zehn.
Wasserkasten. Nachts Wache steh'n.
Schießscharten erweitern. Betonieren
Und die Karrenkulis führen.
Drahtverhaue. Steine fahren.
Das behält man noch nach Jahren.

Blockhaus »Null« erstand auf Sand.
Motorhaus. Scheinwerferstand.
Gerste säen. Steine tragen.
Abgeladen manchen Wagen.
Dann entstand mit Blitzesschnelle
In der Schlucht die Zufluchtsstelle
Der K 6. Erst wurden Ständer
Aus Beton gesetzt. Dann Bänder
Fest aus Eisen drum gelegt.
Balken setzen. Holz gesägt.
Und die ganze Kompanie
Stand von abends acht bis früh
Auf dem Dach beim Betonieren,
Keine Zeit war zu verlieren.

[14]
Einmal kriegten in der Schlucht
Beinah' wir die Wassersucht.
Jeder denkt mit einem Fluch
Heut' noch an den Wolkenbruch.
Steffens sein Depot schwamm weg,
Und wir paddelten im Dreck.
Kleemann stand leicht angezogen
Mitten in den Wasserwogen.

Alles dann in der Rawine
Bauten wir: eine Kantine,
Küche, Häuser für Proviant,
Für Herrn Buttersack den Stand.
Und dazwischen exerzieren,
Zielen, das Gewehr studieren,
Reinigen und zu gebrauchen
Unter Barghoorns strengen Augen.
Richtig gehen – richtig grüßen.
Doch am Schönsten war das Schießen.
Schön ist's doch. Wir wollen sehen,
Wie die Sache heut' wird gehen.

[15]
Sieh! Da steigen aus den Zelten
Alle Seesoldatenhelden.
In zwei Gliedern tritt man dann
Korporalschaftsweise an.
Vor der Front die Korporäle
Schauen, ob auch keiner fehle.
Köbes4, der uns allen teuer,
Böving, Kerl, Arps II und Hoyer.

Köbes schreit: »Wer raucht denn dorten?
Sie sind wohl verrückt geworden?«
Da Herr Luthmann und da vorn
Rühmkorf und der Herr Barghoorn,
Kleemann, uns're Tschan-Tschan-Mutter
findet alles jetzt in Butter.
Dann wird abgezählt, gemeldet,
Cordes hat sich bös erkältet.
Drei Mann Wache liegen lang,
Feiern heute. Zwei sind krank.

[16]
Guter Laune, elegant
Naht Herr Solger, Leutenant.
»Stillgestanden!« »Augen links!«
Donnerwetter! Ja, gut ging's.
»Augen gradeaus!« heißt's dann.
Kleemann meldet Spieß und Mann.
Aller Augen gradaus stieren.
Solger dankt. Dann heißt es »Rühren!«

Und zum Arbeitsdienst für heute
Teilt dann Kleemann seine Leute.
»Barghoorn! Heute Dreieckszielen!
Schmitz und Klautke legen Dielen
In dem Raum des III. Zug.
Tischler? Ja, sind drei genug?«
Dann bemerkt er Lautenbach,
Der Mann beherrscht das Tischlerfach.
»Sie bau'n die Küche! Wie meinen Sie? Holz?
Ist plenty da. Sie helfen Golz.«

»Wieviel Kulis?« »Ungefähr zehn.«
»Können Sie haben!« »Drei Tischler.« »Schön.«
»Mau und Hummel! Sie fahren Sand,
Bähr, Sie bauen den Beobachtungsstand.«
»Vier Maurer.« »Bohner, hat Tschi-fan-ti
denn soviel da?« »Jawohl! Maskee.«
»Freisewinkel! Motorhaus bauen,
Aber die Kulis nicht verhauen!«

[17]
»Zu Herrn Leutnant JaspersenVissering!
Halb acht soll'n Sie dort sein, machen Sie flink.«
»Pietzcker! Sie geh'n zum Kugelfang
Vorsichtig am Strand entlang
Mit zwanzig Mann zu Herrn Rollhausen,
Auch Maurer mitnehmen! Sie, Steinhausen,
Lassen wieder Strohsäcke näh'n.«
»Wieviel Weiber?« »Acht bis zehn.«
»Gut, sollen Sie haben. Laetzsch, Teintze und Pless
Halten Wache. Dienstfrei. Na indes
Reinigen Sie erst die Gewehre.«
»Hoyer Aufsicht.« »Jawohl, ich höre.«
»Pastorini, Sie fahren Proviant.«
»Jawohl, Herr Feldwebel, ich geh an Land.«
»Strauß, Möller, Fiedler, Ihr drei Mann
Setzt Scheiben, sagt die Schüsse an.«
»Köberlein! Lanzen in Ordnung bringen,
Und dann noch vor allen Dingen:
Tolle, Baist und Katzenstein
Machen die Kaserne rein.«
«Ach – und Dreyfuss, Sie bauen noch
Dort ein großes Patronenloch.«
»Weggetreten! Niemand geht über die Straße.
Bohner! Sie machen dann wieder Kasse!«

[18]
Genügend Kulis sind zur Stelle,
Auch zwanzig mutjans mit Säge und Kelle.
Zu den Kulis stürzen alle.
Schuldt zu seinem Hühnerstalle.
Köberlein kommt angesprungen,
Holt sich zwei Chinesenjungen.
Bob und Juchhe nennt er sie,
Jeder ist ein klein Genie.
Er nimmt sie zum Lampenputzen,
Was zu Onkel Bräsigs Nutzen.5

Hahn ist jetzt im Korbe Bohner.
Früh saß am Telefon er.
Er notiert sich alles fleißig:
Onkel Bräsig - 36
25! - Wang-yu-wang
Die sind für den Kugelfang.
22! - Wang-yu-schwing
Die bekommt der Vissering,
Ferner sind fünf Tischler da,
Die bekommt der Schmitzpapa!
Zwei nur kriegt der Lautenbach,
Das macht ihm viel Ungemach.
Und der liebe lange Golz
Nimmt zehn Kulis voller Stolz.

Mau und Hummel 30 Karren,
auf den Schultern ihre Knarren.
»Zehn Mann noch für Blockhaus Null«,
Schreit da einer mit Gebrüll.
»Ich hab weiter keine Leute.«
Darauf geht der Mann auf Beute,
Klaut dem andern frisch vom Fleck
Seine zehn Chinesen weg.

[19]
Dann, als der Platz sich endlich lichtet,
Geht Bohner. Rechnet, zählt und dichtet.
Nun geht's an das große Bauen.
Lustig ist es anzuschauen.
Wie das wohltut und erfrischt
Wenn Zement mit Sand gemischt.
Dazu Steine, Wasser. Schon
Ist er fertig, der Beton.

Dort bringt unser Lautenbach
Seine Küche unter Dach.
Moki-moki macht da einer.
Lautenbach schreit: »Du Zigeiner!«
Golz fühlt sich als Kulimaster,
Raucht dabei den besten Knaster.
Drin beim Dielen sagt Herr Schmitz:
»Türe zu! Verflucht hier zieht's.«
Freisewinkel schikaniert
Onkel Bräsig. Vorn poussiert
Mit den Strohsackmägdelein
Unser kleiner Katzenstein.

Nach der Stadt im besten Dress
Bummeln Teintze, Laetzsch und Pless.
Mau und Hummel laden Sand,
Sind am schönen Meeresstrand.
Schubert läßt Sandsäcke füllen
Und man hört ihn »kwaiti« brüllen.
Öfter gehn die Seesoldaten
Zu Herrn Boving in den Laden.
»Einmal Bier! Hier liegt das Geld.«
Schlüpfen heimlich dann ins Zelt.
Bier, Brot, Butter, Wurst und Schmalz
So um neun Uhr! Gott erhalt's!
Zweites Frühstück! Frohes Schlemmen,
Alles futtert dicke Bemmen.

[20]
Dreieckszielen fällt heut' aus.
Möller, Fiedler und der Strauß
Werden sich heut' bei den Scheiben
Scherzhaft ihre Zeit vertreiben.
Herr Barghoorn ist Kommandant,
Strauß dagegen Adjutant.
Und bald stellen sich zu drein
Auch die Seesoldaten ein.
Wo ein jeder fünf Schuß scharf
Auf die Scheibe knallen darf.

Ist der erste Schuß heraus,
Kommt in Eile dann der Strauß,
Legt die Hände auf den Rücken
Tut sich tief und tiefer bücken
Wie ein Rentner, der am Morgen
Früh im Garten voller Sorgen
Seine Blümelein betrachtet.
Jetzt! Habt ihr darauf geachtet?
Laufen seine beiden Hände
Hoch bis zu der Scheibe Ende.
Sinnend steht er lange dann,
Denkt wie er es finden kann
Und schaut lange, lange hin,
Kratzt den Bart sich und das Kinn.
Da, jetzt kauert er ganz unten,
Scheinbar hat er es gefunden.
Er steht auf. Er dreht sich um,
Stramm in Haltung? ernst und stumm
Schwingt die Arme er voll Kraft
Zehn kurz links. Er hat's geschafft.
Geht in Deckung. Fühlt sich Sieger
Da – auf einmal heißt es »Flieger!!«

[21]
Wirklich zeigt sich bald ein kecker
Frecher Japsendoppeldecker.
Alles flüchtet aufgeregt,
Weil der Vogel Eier legt.
Diese Eier sind verdächtig,
Denn sie explodieren. Mächtig
Hört man sie im Felde brummen
Wärend die Propeller summen.

Doch von unsern Batterien
Wird der Vogel angespien.
Die Schrapnells sind höchst fatal.
Na, denkt er, ein ander mal.
Eure Luft ist mir zu dicke.
Rasch verschwindet er dem Blicke, Zieht hinaus in blaue Ferne.

Kleemann pfeift. Aus der Kaserne
Kommen froh die Seesoldaten.
Kerl indes hält's für geraten,
Noch in Deckung zu verweilen.
Draußen bei der Arbeit eilen
Dann die Stunden. Zehn wird's, elf,
Fünf Minuten dann vor zwölf
Setzt Kleemann seine Pfeife an
Und die Kulis schrein »Tschifan«.

22]
Alles macht jetzt tung-i- tung,
Tschi-fan-ti und Wang-ti-tung,
Wang-yo-schwing und Onkel Bräsig
Und die Kulis faul und lässig
Mit den Schaufeln, Hacken, Spaten.
Rauchend führ'n die Seesoldaten
Dann die Kulis an. Zu zweien
Kauern sie in langen Reihen.

Ein Soldat mit bösen Blicken
Schreit da »0h Ihr Trampelkücken,
Setzt Euch doch.« so schreit er hitz'ger
Bist doch sonst so friedlich, Pietzcker!
Auch der kleine frische Tolle
Kommt dabei recht in die Wolle.
Da! Herr Kleemann! Alle melden.
»Weggetreten! Nach den Zelten.«

[23]
Nun nach langen sieben Stunden
Sind des Dienstes wir entbunden.
Lange schon hat man gerochen
Was sie in die Küche kochen.
Erbsen gibt es heut' mit Speck,
Und der Klautke ist ganz weg.
Als Ostpreuße kann sein Magen
Davon ziemlich viel vertragen.

Um das Essen zu empfangen
Schickt man wieder Golz, den langen.
Einen prächt'gen Appetit
Bringt der Seesoldat jetzt mit.
»Katzenstein, Du mußt noch wachsen!«
Sagt der Lautenbach aus Sachsen.
»Laß Dir's schmecken! Tüchtig essen.«

Draußen kauern die Chinesen.
»Mambo, master!« Einen Tin
Strecken sie zum Tische hin.
Freisewinkel kommt in Fahrt,
Schnauzt sie an, nicht eben zart:
»Schert Euch weg! Verdammtes Pack!«
In die Erbsen und den Speck
Haut der Klautke. Aus der Tasche
Zieht jetzt Mau die vierte Flasche.
Schmitz hat Spargel noch von Linken,
Dazu delikaten Schinken.
Außerdem gibt's frische Wurst.
Bier und Kaffee löscht den Durst.

[24]
Nach dem Essen! Plaudern, Rauchen,
Schläfrig blinzeln viele Augen.
Auf das Stroh sich nebenan
Legen einige sich dann.
Wegen all der vielen Fliegen
Können sie nicht ruhig liegen.
Und zum Strande geh'n zum Baden
Ein paar andre Kameraden.

Der Herr Leutnant Müldner sucht sich
Dann zwei Leute, er ist hitzig,
Denn mit seinem Abendbrot
Hat er seine liebe Not.
Auf den Tisch gehört ein Braten,
Weil Herr Buttersack geladen.
»Köberlein und Schuldt! Ihr spürt
Nach paar Hühnern! Requiriert
Sie im Dorfe. Steckt die Viecher
In zwei Säcke oder Tücher.«
Als Herr Müldner das gesagt,
Geht es auf die Hühnerjagd.

[25]
Bald kann in den Durchflußröhren
Ihre Rückkehr jeder hören.
Die Patrouille war vom Glück
Recht begünstigt; denn sechs Stück
Kriegsgefang'ne bracht sie ein.
Heil Euch, Schuldt und Köberlein!
Die Patrouille war gefährlich,
Denn die Hühner sind sehr spärlich
Jetzt in Tschan-Tschan. Doch mit List
Fand man sechs noch auf dem Mist.

Als ein Hühnchen fliehen wollte,
wie der Herr Müldner grollte.
Mit dem Browning höchst verdrossen
Hat er auf das Huhn geschossen.
Dann fing man die Gockeln ein,
's half kein Gackern. Kuli schrei'n
Half dagegen. In zwei Säcken
Stecken sie. Der Tschan-Tschan-Schrecken-
Jäger wird sie heute braten.
Lüstern schau'n die Seesoldaten.

Freisewinkel schneidet Schmitzen
Seinen Kriegerbart, den spitzen.
Klautke aber geht spazieren.
Er will noch photographieren.

[26]
Doch ach, die köstlichen Minuten
Der Mittagsrast sind bald vorbei.
Eh' man's gedacht, muß man sich sputen.
Ein Viertel ist es schon vor zwei.
Und wie benebelt von dem Schlummer
Erhebt man sich dann schlecht und recht
Mit heißen Köpfen. Voller Kummer
Zupft man die Kleider sich zurecht.
Dann tritt man in der alten Weise
Vorm Zelte an. Ein Witz bringt schnell
Die Launen wieder ins Geleise,
Die Kameraden lachen hell.

Und schnell gruppieren sich zwei Glieder
Herr Kleemann kommt. In Augenschein
Nimmt er uns wie am Morgen wieder,
Und teilt uns zu der Arbeit ein.
Und wieder, wie am frühen Morgen
Dann jeder zu den Kulis eilt,
Woselbst Herr Bohner voller Sorgen
Dieselben schnell und prompt verteilt.

[27]
Der Nachmittag ist nicht so lang.
Doch da – auf einmal sagte es: Zwang!
Ein feindlich' Kriegsschiff ist genaht,
Und alle ziehen schnell am Draht.
Die Pfeife Kleemanns schrillt und ruft.
Aha! Schon wieder dicke Luft.
»Sandsäcke vor! In Deckung geh'n!
Laßt alles liegen, alles steh'n!«
Und vor den Dreissig Komma Fünf
Macht sich alles auf die Strümpf.
Den Batterien auf dem Iltis
Und auch den andern Bergen gilt es.
Auch I.W. eins und Huitschuenhuk
Gilt dieser tolle Geisterspuk.

Betäubt vernehmen's uns're Ohren
Ein Heulen – in die Erde bohren,
Ein Krachen dann – ein Dröhnen, Zittern,
Ein Streuen dann von Eisensplittern.
Da kommen vom Scheinwerferstand
Verspätet ein paar angerannt.
Ein Heulen, Pfeifen, Krachen. Zwang!
Sie strecken alle viere lang.
Gesicht nach unten. Nervzerrüttet,
Vom Eisenhagel überschüttet.
Ein Prasseln, durch die Lüfte Sausen;
Da liegen sie in stummem Grausen.
Es klatscht und wühlt sich in den Dreck
»Nun auf!« Und alle rasen weg.
Ein neues Heulen. Alles duckt sich.
Ein neues Krachen. Alles legt sich.
Dann auf! Und allen wird es leicht:
Die sich're Deckung ist erreicht.

[28]
Nervöses Lachen. Taube Ohren.
Ein jeder fühlt sich neugeboren.
Die Kulis aber stört kein Krach,
Sie sitzen unterm Regendach
In Sicherheit? Wo unter Lachen
Sie fröhlich mokee, mokee machen.

Drin aber sind die Kameraden
Schon ruhig. Einige, die skaten.
Und unberührt von jedem Krach
Übt sich Klein-Katzenstein im Schach.
Und langsam aus dem sicher'n Haus
Traut sich ein Mancher bald heraus.
Geht auf die Treppe, schaut und guckt,
sieht wie ein Kreuzer Eisen spuckt.
Da dreht er. Feuer ist zu sehen,
Jetzt kann man 12 Sekunden stehen,
Eh' man sich bückt. Dann kommt's mit Heulen
Und schlägt den Bergen Löcher-Beulen.
Und wieder bohrt's in Fels und Stein.
Das Ziel hüllt sich in Wolken ein.
Ha! Wie das kracht und qualmt und stäubt.
Wir sehn's – hören's halbbetäubt.
Man kann des Sprengstoffs Explodieren
In allen seinen Knochen spüren.

Nach hundert Schüssen endlich Ruh.
Der Kreuzer dampft nach Schatzykou.
Er hat recht bös vorbeigeschossen,
Die Rohre werden jetzt begossen.

Die Luft ist rein und alle freuen
Sich ihrer unverletzten Glieder.
Die Pfeife schrillt und ruft von Neuem
Und an die Arbeit geht es wieder.
»Kwai-kwaiti! Kulis lustig schaffen.«
Die Uhr zeigt jetzt bereits nach vier.
Man kann sein Kraut jetzt sorglos paffen.
Bei Böving holt man sich ein Bier.

[29]
Doch mitten so im frohen Treiben
Heißt es auf einmal: »Los! Mach schnell!«
Von Weitem sieht man einen winken.
Der Oberleutnant naht! D.L.!
Und wirklich, er kommt angeritten
Auf seinem Pferd im scharfen Trab.
Dann steigt er schnell mit raschen Schritten
Zu uns in die Rawine ab.

Herr Buttersack, der spät und früh
Für uns voll Eifer auf den Beinen,
Der Chef der sechsten Kompanie.
Uns mag das Alles oftmals scheinen,
Daß das kein leichter Posten ist,
Denn wir sind hartes Material,
Und doch hat er in kurzer Frist
Uns weit gebracht. Gar manche Qual
Hat ihm der Dienst gewiß gebracht.
Wir, die wir niemals Soldat gewesen,
Was hat das Arbeit wohl gemacht!
Fremd Allen kriegerisches Wesen,
Fremd Allen, was Kommiß man heißt.
Doch hat zu einem guten Ganzen
Der Oberleutnant uns geschweißt.
Er lernte uns, uns gut verschanzen.

Er war bei uns schon früh beim Schießen,
War auf den Stuben abends spät.
Er lernt uns gehen, schwärmen, grüßen
Und wie man richtig macht sein Bett.
Wir respektieren ihn gewaltig.
Denn wenn er auch gut und gerecht,
So wird er doch bisweilen grantig
Im Dienste und schimpft dann nicht schlecht.

[30]
Der Oberleutnant scheint verdrossen
Was einen Kameraden stört.
Der fragt jetzt einen der Genossen:
»Hast du das neue Lied gehört?«
»Nein«, sagt er drauf, »nicht dass ich wüßte,
Ich kenn es nicht, das neue Lied.«
»Na komm mal hinter diese Kiste,
Daß uns Herr Buttersack nicht sieht.
Ich will nicht, daß er uns noch ruft.
Komm, hör das Lied der Dicken Luft.«

 »Bei der Miliz lernst manches du,
 Schön ist's in bunter Kluft.
 Doch eines läßt dir niemals Ruh':
 Das ist die dicke Luft!
 Kaum bist du morgens aufgewacht,
 Die Sonne lacht so hell,
 Da heißt es: Leute habet Acht
 Dort oben naht D.L.
 D.L. dort oben? Wirklich kommt
 Der Flieger, dieser Schuft.
 Wirft Bomben, daß es nur so brummt,
 Das ist die Dicke Luft!
 Und nachmittags, da sagt es –
 Zwang! Die Warnungspfeife ruft.
 Den Seesoldaten wird so bang,
 Schon wieder Dicke Luft!
 Der Kreuzer speit Granaten aus.
 Der Mensch, sonst klug und hell,
 Er geht in Deckung voller Graus.
 Was macht das? Nur D.L.
 Und wenn du nachts im Graben liegst,
 Dann prasselt das Schrapnell,
 Selbst wenn du dich im Schlafe wiegst
 Verfolgt dich noch D.L.
 Schutz aber gibt es immer noch,
 Kriech in die Tschan-Tschan-Gruft,
 Verbirgt dich, wo in einem Loch
 Vor alles Dicker Luft.
 Die dickste Luft, mein Kamerad,
 Sag ich dir hier zum letzten,
 Das sind für uns von früh bis spät
 Die Herren Vorgesetzten.
 Die allerdickste, wohlbekannt,
 Das ist ......... zuppa, mach schnell,
 Da kommt der Oberleutenant.
 Verdrücke dich! D.L.«

[31]
Herr Oberleutnant Buttersack
Geht jetzt herum auf allen Plätzen
Und hat, wie schon an manchen Tag
Bald hier, bald dort was auszusetzen.
Doch meint er es gewiß nicht so.
Es klappt ja doch im allgemeinen,
Und seine Augen schauen froh.
So will's den Seesoldaten scheinen.

»Hier, Kleemann, kann man nur zur Not seh'n
Daher gehört noch 'ne Laterne.
Es ist wahrhaftig doch zum Kotzen!
Zu dunkel ist's in der Kaserne.
Dann hier: die Mauer noch verstärken,
Sonst fällt uns die Geschichte ein.
Sie müssen, möchte ich bemerken,
Darüber sich im Klaren sein!«
»Zuwenig Balken! Requirieren!
Wie Sie das machen, ist mir Wurscht.«
Alsdann läßt er sich weiterführen
Zum Offizierszelt – er hat Durscht.

»Na ja, Herr Solger«, sagt im Zelte
Er dann. »Im Ganzen klappt der Kram.«
Auch stellt Herr Jaspersen im Bälde
Sich ein mit seinem treuen Jam.
br>Herr Müldner ist jetzt sehr zufrieden,
Die Hühner schmoren auf dem Herde.
Im Allgemeinen ist's hienieden
Doch auszuhalten auf der Erde.

Und schließlich kommt auch zum Schlusse
Aus Tsingtau der Herr Leutnant Mohr.
Und Lindenberg bringt zum Genusse
Als Bursche dann die Drinks hervor.

[32]
Die Sonne ging mit raschem Schritte
Dem fernen lieben Himmel zu.
Und von K 6 hat die Elite
In Tschan-Tschan endlich ihre Ruh.
Herr Kleemann pfeift zum letzten Male.
Und wieder heißt es froh: »Tschifan.«

Die Arbeit ruht. Froh hören's alle
Und lustig kommt jetzt Mann für Mann.
Die Kulis werden abgezählt
Und nachgesehn, ob keiner fehle.
Daß keiner aber zugekommen,
Wird noch genauer wahrgenommen.
Nach vielen Laufen, Ordnen, Schrei'n
Setzt man die Kulis dann zu zwei'n.

Nun wieder Melden. Da kommt Bohner.
In einem Sacke trägt den Lohn er.
Die Abrechnung ist nicht so leicht,
Er zählt und rechnet, prüft, vergleicht,
Dazu der Padu bös' Gewäsch,
Die Kulis lauern auf ihr Käsch.
Dann gibt er hin das schöne Geld.
»Wegtreten Leute.« Auf ins Zelt.
Die Lichter werden angesteckt,
Der Tisch wird schnell und froh gedeckt.

[33]
May kommt vom Melken jetzt nach Hause.
Und dann nach einer kleinen Pause
Kommt Pastorini auch von dem Land
Zurück. Er hat in jeder Hand
Ein großes Paket. Hat viel gebracht
Und manchen guten Kauf gemacht.
Gemüse, Jam und Marmelade.
»Hier, Katzenstein, ist Schokolade.
Cigarren hier, Herr Schmitz, von Linken.
Hier, Vissering, ist was zum Trinken.
Hier Cigaretten, Lautenbach.
Und Golz! Ihr Cherry-Brandy. Ach
Den Käse hab ich ganz vergessen,
Na, 's wird schon langen heut' zum Essen.
Hier, Bohner, hab ich ihren Tee
Und Zucker. Bähr, dein Portemonnaie.
Auch ist hier frische Wurst von Weber
Der Pastorini spielt den Geber.
»Zum Schlusse Kuchen noch, ihr Schlecker,
Berliner auch ganz frisch vom Bäcker.
Fleischbrühe noch zum Abendbrot.«

Wir leiden wirklich keine Not.
Es war auch Unsinn, wenn sie sparte,
Die frische, junge Tschan-Tschan-Garde.
Wer weiß, wie lange wir noch sind
Auf dieser Erde! Drum geschwind
Lobt und genießt die kurzen Stunden,
Seid guten Muts! Und ungebunden.
Ein frohes Essen hebt nun an.
Der Seesoldat stellt seinen Mann.

[34]
Dann nach dem Mahle, so halb acht,
Wird abgeräumt und Platz gemacht.
May will jetzt Messgeld einkassieren.
Man sieht ihn rechnen und addieren.
»Ach Oscar, laß das! Komm spiel Skat,
Wenn nicht, dann sing die ›Lammerstraat‹.«
Das tut er auch, der brave Junge.
Dort bricht sich Vissering die Zunge,
Ein Fremdwort nach dem andern.
Hört: Er unterhält sich höchstgelehrt.
Der Freisewinkel singt und raucht,
Wobei er viel Streichhölzchen braucht.
Da greift der Bohner zu der Laute
Und eine Weise, eine traute
Singt er dazu. Ein Heimatsang
Vom Mädel und vom Becherklang.

Golz fühlt sich wie im Trockendock
Und laut schreit er nach heißem Grog.
Bald steht vor ihm ein dampfend Glas,
Und nun ertönt sein voller Baß.
Wir lauschen alle wie gebannt
Dem Lied vom herrlichen Elbestrand.
Und mit der »Krone im tiefen Rhein«,
Da nimmt er voll und ganz uns ein.
Steinhausen, unser Kernwestfale,
Erscheint und plötzlich lachen alle.
Er singt sein: »Schluß, jetzt trekt wir ut.«
Die Stimmung steigt. Der Grog ist gut.

[35]
Da plötzlich: »Achtung!« Weg den Topf
Mit Grog. Des Oberleutnants Kopf
Schaut zu dem Zelte schnell hierein.
Verstummt das Lachen, Singen, Schrei'n.
Er kontrolliert, ob alles reinlich,
Und die Minuten sind recht peinlich.
Dann sagt er, Hände in den Taschen,
»Na, ja. Es geht, bloß zuviel Flaschen.«
Er ist verschwunden. Einer ruft:
»Das war ja ziemlich dicke Luft.«

Dort steht ein andrer, voll Verlangen
Vor Klautke's Flaschen mit den Schlangen.
Die sind im Arrak aufbewahrt.
Das anzusehen ist recht hart.
Er ist im Schauen ganz versunken.
Der schöne Grog ist ausgetrunken.

Doch während uns in froher Runde
Die Viertelstunden rasch vergeh'n,
Kommt plötzlich in der neunten Stunde
Der Köbes: »Leute! Schlafen gehn!«
Wir würden gern noch weiter machen,
Und manche Miene zeigt Verdruß.
Doch Köbes sagt mit kurzem Lachen:
»Das geht nicht, der Soldat, der muß!«

Und nach dem Lager, nach dem harten,
Bricht alles auf. Der Tag war lang.
Vom klaren Himmel Sterne funkeln.
Der Nachtwind bläst. Die Luft ist kalt.
May gibt das letzte Mal die Karten
Und spielt dann seinen letzten Grand.

[36]
Die Mäntel zieht man an, die dunklen,
Zur Hand die Knarre. Umgeschnallt.
Der letzte Mann bückt sich jetzt nieder
Und bläst die Kerzen traurig aus.

Die Batterien funken wieder
Ihr Feuer in die Nacht hinaus.
Das blitzt und flammt rings auf den Bergen
Der »Bismarck« loht im Feuerschein.
Er wirft zu den Prinz-Heinrich-Bergen
Das Eisen in der Feinde Reih'n.
Und Trendel, Iltis, Taubenkuppe,
Ganz rechts der Schmalzkanonenschrein.
Sie brocken eine gute Suppe
Der gelben Schwefelbande ein.

Wir torkeln jetzt im Finstern weiter.
Ein Graben! Achtung! Fallt nicht hin.
Umsonst. Der Katzenstein liegt leider
Mit seinen kurzen Beinen drin.
Wir seh'n ihn nicht. Er ist verschwunden,
Doch ahnen wir sein traurig Bild.
Er liegt im Nassen, tief ganz unten
Und schimpft verzweifelt, flucht wie wild.
Zum Schlüsse aber krabbelt endlich
Er aus dem Graben sich heraus.
Der arme Kerl ist ganz unkenntlich.
»Oh Katzenstein! Wie siehst du aus.«

[37]
Dann schleichen wir wie graue Katzen
Nach Tschan-Tschan hin, geduckt und schnell,
Und über uns im Dunkeln platzen
Granaten und gar manch Schrapnell.
Wir trennen uns. Nach den Quartieren!
Und wünschen uns noch gute Nacht.
Doch an der frischen Luft, da spüren
den Grog wir jetzt mit aller Macht.

»Wir müssen noch was unternehmen«,
schreit einer auf in Kampfeslust.
»Ach, wenn doch nur die Japsen kämen!«
Mut hebt die Soldatenbrust.
Und Freisewinkel, nie verlegen,
denkt nach. »Jawohl! Ich hab es. Ja!«
Sein Auge blitzt, er ist verwegen:
»Wir machen eine Razzia.
Wir gehen zur Chinesenkneipe,
Vielleicht ist ein Spion zu finden,
Den rücken wir dann bös zu Leibe,
Den hauen wir von vorn und hinten!
Ich führe euch! Jetzt blank gezogen!«
Der lange Golz und Bähr gehn mit.
»Wenn's sein muß, dann wird losgeschlagen!«
Und weg sind sie im raschen Schritt.
Und wirklich geh'n sie in die Kneipe.
Sie schmeißen alle Kulis raus.

Indes geht's ihnen jetzt zu Leibe:
Herr Solger wartet vor dem Haus.
»Na Leute«, sagt er, »seid vernünftig,
Zum Bummeln ist es jetzt zu spät.
Auch sag ich Euch noch: Ihr geht künftig
Um neun Uhr pünktlich in das Bett.«
Da drücken sie sich, finster brütend,
Nachdem der Leutnant das gesagt.
Doch Freisewinkel ist jetzt wütend,
Stracks läuft er auf die Hundejagd.
Er folgt den Kötern höchst verwegen.
Ihn stört kein Krachen, kein Schrapnell.
Fest hält er seinen kurzen Degen,
Und vor und neben ihm Gebell.

[38]
In den Quartieren sind die Leute
Jetzt einer nach dem andern stumm.
Vorbei der Dienst und Schluß für heute.
Im Dorfe geht der Sandmann um.

Die Ratten zeigen sich im Düstern.
Tief steckt Herr Kleemann in den Betten,
Sie sind auf seine Waden lüstern.
Er muß sich vor den Viechern retten.
Wir atmen tief im festen Schlafe,
Wie nur die Jugend schlafen kann.
So liegt sie, von K 6 die brave
und frische Garde von Tschan-Tschan.
Schlaft ruhig, liebe Kameraden,
Die Batterien halten Wacht.
Stärkt Euch, Ihr jungen Seesoldaten,
Zu neuer Arbeit! Gute Nacht!
 

Anmerkungen

1. In Lautenbachs sehr lesenswertem Tagebuch ist das Epos nicht abgedruckt. Jedoch sind darin ab Seite 60 viele Details geschildert, die auch von Bähr berichtet werden.

2. Der Abmarsch nach Tschan-tschan fand am 03.09.1914 statt (Lautenbach).

3. Identität unbekannt.

4. Identität unbekannt.

5. Identität unbekannt.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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