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Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Lager Matsumaya

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»Beschwerdeschrift der deutschen Offiziere des Gefangenenlagers Matsuyama«

von Eduard Kleemann (im Namen der kriegsgefangenen Offiziere)
 

Vorbemerkung des Redakteurs:

Viele Beschreibungen der Kriegsgefangenschaft der Deutschen in Japan tendieren dazu, diese historische Episode als positiv zu bewerten. Dabei wird gewöhnlich auf das erst 1917 errichtete »Musterlager« Bando Bezug genommen, während die Verhältnisse in anderen Lagern eher ausgeblendet werden.
Letzteres gilt auch für das Lager Matsuyama. Die »Beschwerdeschrift« der dortigen Offiziere, die im Hinblick auf den bevorstehenden Besuch des US-amerikanischen Botschaftssekretärs Sumner Welles verfasst und ihm heimlich am 06.03.2016 übergeben wurde, zeigt ein sehr negatives Bild. Wie in der amtlichen Übersetzung des Welles-Berichts zu lesen ist, erschienen dem Besucher freilich – unter dem Eindruck des ersten Abschnitts? – manche Klagen unberechtigt.
War der Hauptverfasser der Beschwerde, der Lagerälteste Major Kleemann, überempfindlich oder gar unglaubwürdig? Letzteres bezweifle ich, denn schließlich handelt es sich um den Offizier, der ein gutes Jahr danach ein ausgezeichnetes Verhältnis zum Bando-Kommandanten Matsue aufbaute und damit einen der wichtige Rahmenbedingung für das Gedeihen des »Musterlagers« schuf.


Die hier wiedergegebene Fassung der Beschwerdeschrift ist Teil der Akten des US-Außenministeriums bzw. der dortigen Akten über die Lagerbesuche von Welles, wobei der erwähnten Anhänge hier weggelassen sind.
Der Redakteur hat Schreibfehler korrigiert, die Rechtschreibung maßvoll angepasst, eine Inhaltsübersicht vorangestellt und einige Hinweise – in [] oder als Fußnote – hinzugesetzt.
 

INHALT:
Zweck
I. Behandlung
II. Unterbringung und Bewegung
III. Sanitäre Verhältnisse
IV. Post
Anträge



[Zweck]

Diese Schrift soll einem doppelten Zweck dienen.
Einmal und in erster Linie wollen wir eine Anzahl von Fällen zur Kenntnis der zuständigen Stellen bringen, in denen die japanischen Behörden die Pflichten, die ihnen durch das Völkerrecht im Allgemeinen und die Haager Konvention über die Behandlung der Kriegsgefangenen im Besonderen auferlegt werden, den deutschen Kriegsgefangenen in Matsuyama gegenüber nicht erfüllen, Missstände, auf deren Beseitigung wir daher einen rechtlich verbrieften Anspruch zu haben glauben.
In zweiter Linie kommt es uns darauf an, der allgemein verbreiteten Ansicht entgegen zu treten, dass die deutschen Kriegsgefangenen in Japan besonders gut behandelt werden. Hier in Matsuyama trifft das jedenfalls nicht zu, und wir halten es für wünschenswert, dass dies zur Kenntnis unserer Regierung gebracht wird. Zu diesem Zwecke müssen wir in dieser Schrift eine breitere Darstellung geben und manche Einzelheiten anführen, die an und für sich nicht so wichtig erscheinen, die aber in ihrer Gesamtheit erst die Grundlage ergeben, von der aus das Verhalten der japanischen Behörden gegenüber den deutschen Kriegsgefangenen richtig gewürdigt werden kann. Damit aber aus dieser allgemeinen Darstellung jene hauptsächlichen Beschwerdepunkte klar hervortreten, werden wir uns erlauben, sie am Ende dieser Schrift in Form von bestimmten Anträgen noch einmal zusammenzufassen.
 

»I. Behandlung«

A.) Behandlung der deutschen Offiziere

Das Verhalten der japanischen Offiziere uns gegenüber ist fast ausnahmslos anmaßend und geringschätzig und entspricht nicht den Formen der Höflichkeit, die sonst im Verkehr von Gebildeten verschiedener Nationen miteinander allgemein beachtet werden. So haben, um einige Beispiele anzuführen, oftmals junge japanische Leutnants den Major Kleemann mit den Händen in den Hosentaschen angeredet; so hat ein japanischer Oberleutnant den nach Lebens- und Dienstalter erheblich älteren Hauptmann Stecher in dar gröbsten Weise angeschrieen, ohne dass es möglich war, eine Entschuldigung von ihm zu erreichen. Eine Ausnahme macht der Lagerkommandant Herr Oberstleutnant Maiegawa,1 der im Verkehr mit uns die gesellschaftlichen Formen stets bewahrt.

Die Handhabung der Lageraufsicht im Allgemeinen und das dienstliche Auftreten der einzelnen Aufsichtsoffiziere entsprechen mehr den Verhältnissen einer Strafanstalt als denen eines Kriegsgefangenenlagers. Dass den Kriegsgefangenen nur solche Beschränkungen der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung aufzuerlegen sind, die zur Verhinderung ihres Wiedereintritts in den Kampf und zur Aufrechterhaltung der Disziplin im Lager erforderlich sind, dieser den Geist der völkerrechtlichen Bestimmungen ausmachende Gedanke ist den japanischen Behörden – jedenfalls denen in Matsuyama – bisher fremd geblieben. Dies zeigt sich unter anderem in einer Fülle von Einrichtungen, Befehlen und Verboten, die lästige Beschränkungen darstellen, ohne dass ein vernünftiger Grund dafür angegeben wird oder sonst einzusehen ist. Man wird dem deutschen Soldaten nicht nachsagen können, dass er sich einer vernünftig gehandhabten Disziplin nicht leicht und willig unterordne; aber willkürliche und zwecklose Maßnahmen werden überall und immer Erbitterung erregen und Widerstand wachrufen. Ob und inwieweit diese Haltung des japanischen Lagerkommandos als gewollte Schikane aufzufassen ist oder auf Eigentümlichkeiten des japanischen Charakters beruht, das mag dahingestellt bleiben.2 Sicher aber ist, dass sie in ihrer Wirkung auf uns als unberechtigte, grundlose und willkürliche Belästigung empfunden werden muss und empfunden wird. Einige Beispiele werden das klar erkennen lassen.

 Zu Beginn des Sommers [1915] wurden wir durch den Rat des japanischen Zahlmeisters veranlasst, uns durch seine Vermittelung leichte Waschkimonos anzuschaffen; nachdem wir sie mehrere Monate mit Wissen und ohne Einspruch des Lagerkommandos getragen hatten, wurde das Tragen ohne Angabe eines Grundes im Juni verboten; Fluchtverdacht kann hierfür nicht bestimmend gewesen sein, denn die Kimonos wurden uns damals nicht abgenommen, dies geschah erst anfangs Dezember nach der Flucht von 4 [5] Offizieren aus Fukuoka.
 Die Tropenhelme, die nach der Bekleidungsvorschrift die vorschriftsmäßige Kopfbedeckung der Tsingtauer Truppen im Sommer sind, wurden uns ohne Grund verboten und abgenommen.
 Weiße Tennishüte, die bei der großen Sonnenhitze im Sommer sehr nötig wären, sind hier im Gegensatz zu anderen japanischen Lagern verboten.
 Der kleine Pavillon auf dem Berge konnte im Winter, wenn er geheizt und der Boden mit Strohmatten belegt war, für zwei bis drei Herren Arbeitsplätze bieten, eine sehr angenehme Abhilfe des Platzmangels in unteren Wohnraum, der an dunklen Tagen nur für 6-8 Herren genügend helle Plätze bietet; trotzdem wurde das Heizen verboten und die bereits angeschafften Matten mussten entfernt werden. Das erste Verbot kann sich allenfalls mit Furcht vor Feuergefahr erklären, das zweite dagegen kann nur als Akt willkürlicher Belästigung angesehen werden.
 Um die in den hiesigen Lagern herrschende gedrückte Stimmung durch Anregung zu schriftstellerischer Betätigung und durch Schaffung eines regen Gedankenaustauschs zu heben, wurde nach dem Vorbild anderer japanischer Kriegsgefangenenlager eine Zeitschrift gegründet. Der Lagerkommandant persönlich erteilte seine Genehmigung mit der einzigen Einschränkung, dass keine politischen Artikel gebracht werden dürfen. Nach der dritten Nummer wurde die Zeitschrift verboten, angeblich weil sie »auch Rätsel« und dergleichen enthalten und dadurch den Charakter eines Unterhaltungsblattes angenommen habe. Von einem diesbezüglichen Verbot war aber vorher nie die Rede gewesen. Dieses völlig ungerechtfertigte Zurückziehen der einmal erteilten Genehmigung ist auch deshalb unangenehm, weil auf Grund der Genehmigung inzwischen große Anschaffungen an Papier und sonstigem Material gemacht worden waren.3
 Einen besonders kennzeichnenden Fall bildet der kürzlich vorgekommene Versuch eines Kohlendiebstahls mit seinen Folgen! In der Nacht von 29. zum 30.I.1916 wurde Leutnant Deutschmann durch ein Geräusch vor seinem Fenster geweckt. Er öffnete es und bemerkte zwei Soldaten der japanischen Wache, die im Begriff waren, von der uns gehörenden Kohle zu entwenden, die im Hof neben dem Schlafraum aufgestapelt liegt. Auf Deutschmanns Auffordern, sich zu entfernen, pflanzte der eine der beiden Soldaten das Bajonett auf und bedrohte Deutschmann. Unsere Meldung des Vorfalls hatte das folgende kaum glaubliche Ergebnis: Zunächst das Verbot, nachts die Schlafraumfenster zu öffnen, was längere Zeit vorher ausdrücklich erlaubt worden war, und später nach drei Wochen den Befehl, auf unsere Kosten einen Verschlag für die Kohlen zu bauen.

Dies sind nur einige Beispiele aus der Menge von Vorkommnissen dieser Art; alle darzustellen, würde zu weit führen. Auch ist es unmöglich, die zahlreichen Fälle zu erinnern oder aufzuzählen, in denen Posten und sogar Wachoffiziere die von dem Lagerkommando erlassenen Bestimmungen nicht beachtet und ihre Befugnisse überschritten haben. Auch sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Fälle einzeln betrachtet vielleicht nicht so wichtig aussehen, dass sie aber in ihrer Gesamtheit als ständige Quelle von Ärger und Erbitterung uns das Leben sehr erschweren.

Gesteigert wird diese Wirkung durch das Gefühl der Rechts- und Machtlosigkeit gegenüber all diesen Willkürakten. Es fehlt nämlich nicht nur an einem geordneten Beschwerdeverfahren, sondern sogar an einer ordnungsmäßigen Behandlung von Eingaben überhaupt. Schriftliche Eingaben – Gesuche sowohl als Beschwerden – von einzelnen Offizieren und vom Lagerältesten an das Lagerkommando sind in den meisten Fällen überhaupt unbeantwortet geblieben und in den anderen Fällen mündlich und meist ausweichend erledigt worden. Ebenso bleiben schriftliche Eingaben an das Kriegsministerium in allen Fällen vollkommen ergebnislos; nicht einmal eine Empfangsbestätigung wurde erteilt, sodass wir nicht wissen, ob die Schreiben überhaupt an ihre Bestimmung gelangt sind. Als Beispiel sei ein Brief des Majors Kleemann vom 6.VI.1915 genannt.
Diese unkorrekte Behandlung unserer Eingaben ist im Verkehr mit staatlichen Behörden wohl einzig dastehend; sie ist nicht nur wegen des darin liegenden Ausdrucks der Geringschätzung in hohem Grade beleidigend für uns, sondern widerspricht auch dem völkerrechtlichen Satze, dass die Gesetze und Bestimmungen des betreffenden Landes auf die Kriegsgefangenen Anwendung finden; denn darin ist enthalten, dass den Kriegsgefangenen ebenso wie den eigenen Soldaten Gelegenheit zur Beschwerde gegeben werden muss, wie überhaupt jede Disziplin ein Beschwerderecht begrifflich voraussetzt.
Die Anrufung der Vertretung der Vereinigten Staaten wurde uns ebenfalls unmöglich gemacht. Am 10.VIII.1915 schrieb Major Kleemann an Herrn Konsul West in Kobe mit der Bitte, uns zu besuchen. Dieser Brief ist verschwunden; er ist weder abgesandt nach zurückgegeben worden. Daraufhin telegrafierte Major Kleemann an 2.IX. an Herrn Konsul West. Am 22.X., also 60 Tage später, teilte der Lagerkommandant mit, das Kriegsministerium verbiete die Absendung dieses Telegramms.

Es soll übrigens, worauf wir beim Abschluss dieser Ausführung unserer Behandlung hinweisen wollen, durchaus nicht in Abrede gestellt werden, dass auch wir den japanischen Offizieren manchmal schroff und abweisend gegenübergetreten sind. Dies hat seinen Grund aber lediglich in den Erfahrungen der oben geschilderten Art, die wir bereits in den ersten Tagen unseres Aufenthaltes im Gefangenenlager Matsuyama machen mussten. Wohl die große Mehrzahl von uns kam mit einer gegen Japan keineswegs erbitterten Stimmung hierher in der auch durch Kundgebungen der japanischen Militärbehörden in China unterstützten Erwartung, eine ehrenvolle, unserem Stande entsprechende Behandlung zu finden.4 Erst die alsbald einsetzende Enttäuschung dieser berechtigten Erwartung hat bei uns allen eine entgegengesetzte Stimmung erzeugt, die wiederholt ihren Ausdruck gefunden hat.
 

B.) Behandlung der Mannschaften

Für die Behandlung der Mannschaften hat alles, was oben über die Handhabung der Lageraufsicht gesagt worden ist, ebenfalls Geltung. Auch gegenüber den Mannschaften sind Anordnungen und Befehle der oben dargestellten Art häufig vorgekommen, die als Akte der Willkür Erbitterung und Entrüstung hervorgerufen haben. Auch hier sollen aus der Menge der Fälle nur einige dargestellt werden.
 So wurde auch den Mannschaften das Tragen der Kimonos verboten, die sie sich bei dem Kantinenkaufmann erstanden hatten, der nur von der Lagerbehörde genehmigte Ware handeln darf.
 So ist den Leuten in der Versammlung der Tempelältesten ausdrücklich erlaubt worden, Vorhänge um ihre Bettplätze anzubringen, welche Erlaubnis 14 Tage später ohne Grund widerrufen wurde, nachdem in der Zwischenzeit zahlreiche Leute für teueres Geld Vorhänge angeschafft hatten.
 So wurde die Kaiser-Geburtstagsfeier im Tempel Guganyi [Kogan-ji] zunäohst um 5 Uhr erlaubt und dann, nachdem die Vorstellung für das erst um 6 Uhr beginnende elektrische Licht eingerichtet war, der Anfang plötzlich ohne jeden Grund auf 4 Uhr verlegt; erst die Erklärung, dass dann auf jede Feier verzichtet würde, bewirkte, dass die ursprüngliche Anfangsstunde wieder hergestellt wurde.
 Auch der Fall der beiden Soldaten der japanischen Wache gehört hierher, die dem Küchenunteroffizier aus Rache seine sämtlichen Feuer ausgossen, weil sie von dem Tee der deutschen Kriegsgefangenen, von dem der Wache oft aus Gefälligkeit etwas abgegeben wurde, einmal nicht erhalten konnten.

Misshandlung

Erheblich ernster noch als die Fälle willkürlicher und ungerechter Behandlung sind die brutalen Misshandlungen zu beurteilen, die wiederholt vorgekommen sind. Uns sind folgende vier Fälle bekannt geworden.
1) Am 24.III.1915 hatte der Seesoldat Remaklus einen Wortwechsel mit einem japanischen Posten. Kurze Zeit nachher kam der wachhabende Unteroffizier zu ihm und schlug ihm ohne weitere Veranlassung mit der Hand ins Gesicht. Nach Meldung des Falles wurde gegen Remaklus eine Untersuchung eröffnet, die seine Schuldlosigkeit ergab; er blieb straffrei.
2) Am 23.IV.1915 wurde der Unteroffizier Hagemann von einem japanischen Gemeinen gelegentlich eines Ausganges auf offener Straße wiederholt mit dem Fuss in die Kniekehlen getreten, weil er sich weigerte – in Unkenntnis des für diesen Ausgang besonders erlassenen Rauchverbots – sich von dem Soldaten die Zigarre entreissen zu lassen. Hagemann wurde wegen Ungehorsam mit 20 Tagen strengen Arrests bestraft, obwohl er seine Schuld entschieden bestritt. Der Japaner ging scheinbar straffrei aus, da die von Herrn Oberstleutnant Maiegewa versprochene Mitteilung über seine Bestrafung ausblieb.

Während die Misshandlung in diesen beiden ersten Fällen von japanischen Soldaten ausging, haben sich in den zwei weiteren Fällen sogar japanische Offiziere der Misshandlung schuldig gemacht.
3) Am 4.VI.1915 wurde der Koch der Offiziersküche wegen angeblichen Ungehorsams gegen einen Posten festgenommen. Bei dieser Gelegenheit fasste der Wachoffizier ihn an der Brust, stieß ihn aus der Küche hinaus und schlug ihm zweimal mit der Faust ins Gesicht.
4) Den vierten Fall bildet der Versuch, duroh Anwendung einer Art von Folterung den Täter einer nächtlichen Rauferei zu ermitteln. Der Wachoffizier ließ die Mannschaften des Tempels Guganji zur Erzwingung eines Geständnisses gegen 6 Uhr abends auf der Wache Aufstellung nehmen. Er erklärte, sie müssten bis zum nächsten Morgen stehen bleiben, wenn der Täter sich nicht meldete; später fügte er noch hinzu, er sei berechtigt, die Leute mit den Säbel zu schlagen, wenn kein Geständnis erfolgte. Gegen 9 Uhr wurde der Unteroffizier entlassen und gegen 9 Uhr 30 die Mannschaften, die somit immerhin über drei Stunden auf demselben Fleck hatten stehen müssen.5

Gegen diese Misshandlung muss der stärkste Einspruch erhoben werden. Der Vorwurf richtet sich nicht nur gegen die Täter, denen sie zunächst zur Last fallen. Er trifft in gleicher Schärfe auch die japanischen Behörden, die es unterlassen haben, den in ihrer Ehre tätlich Verletzten Genugtuung zu verschaffen, sei es auch nur durch Mitteilung der Bestrafung des Täters, und die dadurch den Anspruch auf ehrenhafte Behandlung verletzt haben, der den Kriegsgefangenen nach dem Völkerrecht zusteht und der ihnen durch die japanische Regierung unmittelbar nach der Gefangennahme feierlich zugesichert worden ist.6 Es ist in allen diesen Fällen beim Lagerkommandanten, und als dies fruchtlos blieb, auch beim japanischen Kriegsministerium Beschwerde erhoben worden (Brief des Majors Kleemann vom 6.VI.1915). In keinem der Fälle ist von Seiten der Japaner irgend etwas geschehen.

Bestrafungen.

Die Bestrafungen sind der Höhe nach sehr schwer. Ganz energisch muss aber protestiert werden gegen die unmenschliche und grausame Art des Strafvollzugs, die nicht nur einer körperlichen Marter gleichkommt, sondern auch geeignet ist, die Gesundheit der Bestraften dauernd zu schädigen.
Die Arrestzelle ist ein völlig leerer Raun, sie enthält nicht einmal eine Pritsche und besitzt nur an drei Seiten Wände, während die vierte, nach dem Hang zu gelegene, nur aus Latten besteht. Trotzdem in Matsuyama auch im Frühling und Herbst die Nächte kühl sind und im Winter die Temperatur oft unter Null sinkt, erhalten die Arrestanten nur jede dritte Nacht Decken. In den andern Nächten und an allen Tagen sind sie schutzlos der Kälte und dem Zug ausgesetzt, da die Zellen nicht geheizt werden. Auch müssen trotz des Holzfussbodens der Zelle die Stiefel ausgezogen werden. Im Sommer, wo das Fehlen der Decken nicht so sehr empfunden wird, macht die Moskitoplage das Schlafen unmöglich, da Netze nicht gegeben werden; bei der Leichtigkeit der Übertragung von Krankheiten durch Moskitostiche muss auch dies als gesundheitsgefährlich bezeichnet werden.

Derartige Massregeln, auch wenn sie von den Japanern ihren eigenen Arrestanten gegenüber so gehandhabt werden mögen, widersprechen durchaus dem Geist der Haager Konvention, die eine grausame und barbarische Behandlung der Kriegsgefangenen verbietet. Dazu kommt noch, dass die bestehenden Bestimmungen über die Ausgabe von Decken keineswegs regelmäßig beachtet werden. Es ist wiederholt vorgekommen, dass die Decken an dritten Tag überhaupt nicht oder erst sehr spät, gegen Mitternacht, ausgegeben wurden. Unteroffizier Hagemann, der an einem regnerischen Tage mit nassen Kleidern ins Arrestlokal kam und sich infolgedessen in den kühlen Nächten bald stark erkältete, erhielt am elften Tage, als 39 Grad Fieber bei ihm festgestellt waren, nur die Erleichterung, dass ihm ausser der Reihe Decken gegeben wurden. Am dreizehnten Tage erst wurde er wegen seiner Krankheit vorläufig entlassen. Als er später den Rest seiner Strafe nachbüßte, erhielt er volle sieben Tage lang überhaupt keine Decken mit der Begründung, er habe ja vorher zweimal Decken zuviel erhalten.

Die Strafen sind wiederholt unkorrekt verhängt worden. So wurde in der Untersuchung der Leute des Tempels Guganji, die am Zaune des Lagers Obst von Japanern gekauft hatten, durch Hauptmann Shiraishi vor der Front ausdrücklich Straffreiheit für den Tempel und den betreffenden Täter versprochen, wenn der sich meldete, der als erster gekauft hatte. Der Seesoldat Becker,5 der dies gewesen war, trat vor; daraufhin wurde er mit drei Tagen Arrest und der Tempel mit acht Tagen Absperrung bestraft. In einem anderen Falle war der Gefreite Brück wegen unerlaubten Verlassens des Lagers in Verdacht gekommen. Da die Japanerin, die den Betreffenden außerhalb des Lagers gesehen hatte, Brück nicht mit Sicherheit erkennen konnte, wurde die Untersuchung niedergeschlagen. Eine Woche später wurde Brück ohne Verhör mit acht Tagen Arrest bestraft, angeblich weil er nach einer Japanerin mit Apfelsinenschalen geworfen habe, was er damals sofort bestritt und auch heute noch entschieden in Abrede stellt.

Ferner werden immer außer den Schuldigen ihre Kameraden in der Gesamtheit bestraft. An sich ist hiergegen nichts einzuwenden, wenn eine derartige Bestrafung als disziplinarisches Mittel zu dem Zwecke gebraucht wird, durch den Einfluss der Gesamtheit Einzelne von der Begehung von Delikten abzuhalten. Die Gesamtbestrafung wird aber von dem Lagerkommandanten auch dann angewandt, wenn von solchem Einfluss gar nicht die Rede sein kann. So wurde dem Lager Yamagoje [Yamagoe] das warme und kalte Baden für die Zeit vom 22.II. bis zum 24.III.1915 verboten, weil in dem Lager Kokaido ein Brand ausgebrochen war. Ebenso wurden die Lager Yamagoje und und Dairinji mit Entziehung des Ausganges vom 25.XII.1915 bis zum 10.II.1916 bestraft, weil auf einem Spaziergang ein Mitglied des Lagers Kokaido sich etwas hatte zu Schulden kommen lassen. Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass der Verkehr zwischen den einzelnen Lagern sehr erschwert ist und deshalb eine Einwirkung der Angehörigen eines Lagers auf die des anderen so gut wie ausgeschlossen ist.

Diebstähle japanischer Soldaten

In verschiedenen Fällen sind deutsche Kriegsgefangene von japanischen Wachmannschaften bestohlen worden.
 Im Anfang Sommer 1915 wurde der im Offizierlager auf Posten stehende japanische Soldat beobachtet, wie er aus der Litewka des Seesoldaten Kessler [?], die an einem der Wäschepfähle hing, eine Schachtel Zigaretten entwendete. Auf die Anzeige fand eine Untersuchung statt, über den Ausgang wurde uns keine Mitteilung gemacht.
 Am 29.IX.1915 versuchte ein japanischer Soldat im Tempel Dairinji nachts dem Obermatrosenartillerist Heinsen [Helmsen?] eine Geldbörse zu stehlen, die dieser unter seinem Kopfkissen liegen hatte. Heinsen erwachte und ergriff die fremde Hand; der Mann riss sich los und entfloh, wurde aber sofort von Heinsen und dem Dolmetscher Andreas festgestellt. Auf Anzeige am nächsten Tage wurde der Täter zu Protokoll vernommen. Weiter ist nichts bekannt.
 

»II. Unterbringung und Bewegung«

1) Unterbringung

Außer im Lager Kokaido (180 Mann) sind alle Offiziere [nachträglich eingefügte Fußnote: ausgenommen ein Stabsoffizier und 3 Hauptleute, die seit 1.III.1916 im Hause des Priesters vom Tempel Raikoji untergebracht sind] und Mannschaften in Tempeln untergebracht, die als menschliche Wohnungen aus folgenden Gründen ungeeignet sind:
1) Sehr hohe Räume, die im Winter zugig und durch das gelieferte Holzkohlenbecken [Hibachi] nicht zu erwärmen sind.
2) Wenige Fenster; daher sind bei Tage die Räume großenteils dunkel und nur in geringem Maße nutzbar für geistige Arbeiten, auf die die Gefangenen bei der geringen Bewegungsmöglichkeit vor allem angewiesen sind. Die Lüftung ist ungenügend.
In anderen Lagern (Narashino, Kurume, Nagoya) sind Barackenlager errichtet worden. Im einzelnen ist folgendes zu bemerken:

A. Offiziere

Die 15 Offiziere, darunter ein Stabsoffizier, sind zusammen mit 8 Burschen und einem Koch in einem Tempel untergebracht, der ursprünglich einen großen Raum bildete (vergl. beiliegende Skizze), jetzt aber durch zwei dünne Holz- und Papierwände in drei Räume geschieden wird. Von diesen steht je einer den Offizieren als Schlaf- und Wohnraum zur Verfügung, während der dritte Raum als Burschenzimmer dient.
Die Beschränkung von 15 Leuten auf nur einen Wohn- und einen Schlafraum wird als außerordentlich lästig empfunden, besonders im Winter, wo wir durch die Witterung hauptsächlich auf den Wohnraum angewiesen sind. Diese Übelstände sind auch von den Japanern anerkannt worden, aber trotzdem eine Abhilfe leicht möglich wäre, ist in den 16 Monaten bisher nichts geschehen. Ein Vorschlag, durch noch engeres Zusammenrücken der Mannschaften Raum für die Offiziere zu schaffen, musste natürlich abgelehnt werden. Es ist bekannt, dass in anderen (Kurume, Nagoya, Narashino) nur je 2-4 Offiziere zusammenwohnen.
Ein weiterer Übelstand ist die gemeinsame Unterbringung von Offizieren und Mannschaften. Sie widerspricht nicht nur den Bestimmungen der Haager Konvention, wonach Offiziere und Mannschaften getrennt zu halten sind,7 sondern wird auch wegen des im Burschenraum unvermeidlichen Lärms sehr störend empfunden.

Die ursprüngliche Einrichtung des Tempels ergibt sich aus der Skizze. Dass sie für ein längeres Wohnen völlig unzulänglich war, bedarf keiner Erörterung. Es waren vielmehr erhebliche Aufwendungen nötig, um die Räume einigermaßen wohnlich zu machen. Von dieser weiteren Einrichtung hat jedoch die japanische Behörde nur die 16 eisernen Bettstellen (Größe 1,80 mal 0,68 m) geliefert und die beiden in der Skizze rot eingezeichneten halbhohen, rohen Bretterwände eingezogen. Alles andere, insbesondere die obere Hälfte der Wände, eine genügende Beleuchtung und ein für den großen Raum ausreichender Hibachi mussten von uns selbst beschafft werden, wofür etwa Yen 200,- aufgewendet werden mussten.
Dabei ist noch zu bemerken, dass die Bettstellen erst am 1.XII.1914 geliefert wurden und dass die Offiziere solange auf den auf dem Boden liegenden Strohsäcken mit 6 Decken schlafen mussten, wovon Erkältungen und Blasen-Katarrhe die Folge waren, und dass die Beschaffung des großen Hibachis erst am 5.I.1915 ermöglicht wurde, nachdem das Aufstellen eines eisernen Ofens nicht erlaubt worden war. Wegen der mit der Heizung durch die offenen Kohlenbecken verbundenen Feuersgefahr beantragten die Offiziere, ihnen die Versicherung ihres privaten Eigentums im Werte von Yen 7.500,- zu gestatten. Dies wurde ohne Grund abgelehnt.
Auch die Kücheneinrichtung musste auf eigene Kosten beschafft werden, was etwa Yen 400,- erforderte.
Die Strohsäcke wurden erst nach zwei Monaten neu gefüllt; diese Arbeit nahm drei Tage in Anspruch, inzwischen mussten die Offiziere auf den nackten Bettstellen liegen.

B. Mannschaften

Alle Unterkunftsräume sind viel zu eng belegt, besonders in Anbetracht des heißen Klimas im Sommer. Dabei ließen sich im Lager Yamagoje z.B. noch genügend Räume finden. In Lager Kokaido (180 Mann) stehen jedem Mann durchschnittlich nur 2,85 qm zum Wohnen und Schlafen zur Verfügung. Unteroffiziere und Mannschaften haben weder Betten noch Strohsäcke, sondern müssen auf dem Boden schlafen. Diese gesundheitsschädliche Art der Unterbringung widerspricht der Bestimmung des Artikels 7 der Haager Konvention, wonach die deutschen Kriegsgefangenen den Anspruoh haben, ebenso wie die japanischen Soldaten auf Bettstelle und Strohsack zu schlafen. Viele Mannschaften haben sich auf ihre Kosten (ca. Yen 2,-) Betten gemacht, aber auch jetzt naoh 16 Monaten Gefangenschaft schlafen im Lager Yamagoje z.B. noch 16 Leute auf dem Boden, denen zum Zudecken sowohl als auch zur Unterlage nur die gelieferten Decken dienen: im Winter 6, im Sommer 4. Die Folge dieser Art des Schlafens sind viele Erkältungen, Influenza, Blasenkatarrhe. Die anfänglich gelieferten 2 Bettlaken sind durch die dauernde Benutzung völlig unbrauchbar geworden; ein Ersatz wurde abgelehnt, mit der Begründung, dass »keine Mittel dafür vorhanden seien«.

Der Unterschied in der Unterkunft zwischen Feldwebeln und Mannschaften besteht lediglich darin, dass erstere Strohsäcke erhalten haben. In andern Lagern (Osaka, Nagoya, Narashino) dagegen wohnen 2 bis 4 Feldwebel in besonderen Zimmern zusammen.
Besonders drückend macht sich die enge Belegung im Sommer bemerkbar, wo durch die vielen Moskitonetze der freie Luftdurchzug so behindert wird, dass die Temperatur an den hinten gelegenen Schlafstätten ganz unerträglich ist.
Reparaturen an den vielfach morschen und faulen Holzteilen der Unterkunftsräume müssen meist von den Gefangenen auf ihre eigenen Kosten ausgeführt werden. Andererseits wurde im Tempel Dairinji die Bitte, die Bodenmatten wegen des Staubes und Ungeziefers durch Holzböden ersetzen zu dürfen, grundlos abgelehnt.
Die Beleuohtung in allen Tempeln ist völlig unzureichend.

C. Bewegungsmöglichkeiten

Einer der gröbsten Übelstände im Lager Matsuyama ist die völlig unzureichende Bewegungsmöglichkeit. Zur Bewegung in der freien Luft stehen in jedem Lager nur kleine Gärten und Höfe zur Verfügung. Auf den Höfen müssen jedoch notwendigerweise die Decken gelüftet werden, wodurch der verfügbare Raum noch mehr beschränkt wird. Bewegungsspiele, sogar Steinstoßen, sind verboten. Auf der einzigen im Lager Yamagoje nur Verfügung stehenden Straße ist das Spazierengehen untersagt. Die Gartenfläche wird in Dairlnjl und Kokaido zum größten Teil von Teichen eingenommen; zur Bewegung bleiben nur schmale Pfade. Aber selbst das Betreten dieses Gartens ist in Kokaido wegen Vergehen von einzelnen Leuten auf längere Zeit dem gesamten Lager verboten gewesen.

Die Offiziere hatten sich bereit erklärt, angrenzende Grundstücke, die für Sportsplätze geeignet waren und deren Besitzer mit der Vermietung einverstanden waren, für die Mannschaften zu mieten und herzurichten. Auch hätten für diese Zwecke Liebesgaben zur Verfügung gestanden. Aus uns unverständlichen Gründen wurden alle diese wiederholten Bitten abgelehnt.
Diese Übelstände wurden um so bitterer empfunden, als bekanntlich die Verhältnisse in anderen Lagern weit besser liegen:
In Kurume: regelmäßiges Fußballspiel
In Nagoya: drei bis fünf Tennisplätze, Golf, Hockey, Fußballplatz
In Narashino: Tennis-, Golf-, Fussballplatz
In Shidzuka und Oita: Tennisplätze.
Auch Tagesausflüge und Gelegenheit zum Baden im Meer sind uns aus anderen Lagern bekannt.

In richtiger Erkenntnis dieser völlig ungenügenden Bewegungsmöglichkeit hat die japanische Behörde Spaziergänge eingegerichtet, die befehlsgemäß wöchentlich einmal stattfinden sollen. Die beigegebene Liste sämtlicher Ausflüge zeigt, wie diese Zusage bis jetzt erfüllt wurde (36 statt 66). Bei schlechtem Wetter fällt der Ausgang ohne weiteres aus, ohne dass ein anderer Tag als Ersatz dafür gewählt wird.
Obwohl demnach diese Ausgänge nicht als besondere Vergünstigung zu betrachten sind, sondern lediglich als Ausgleich der sonst zu gewährenden Bewegungsmöglichkeit, wie sie in anderen Ländern gegeben wird (Deutschland und England z.B.) [wird] ebenso wie der Entzug des Gartens auch der Entzug der Ausgänge häufig als Strafe verhängt.

Im einzelnen ist für die Offiziere noch zu bemerken:
Vom 16.XI.1914 bis zum 10.II.1915 – drei Monate, in denen sechs Spaziergänge stattfanden – blieben die Offiziere auf den 50:110 englische Fuß großen Hof beschränkt. Erst Ende Mai wurde nach großen Schwierigkeiten ein Tennisplatz genehmigt. Die Anlage geschah auf eigene Kosten und bei monatlichem Pachtzins von Yen 5,-. Am 8.VII.1915 wurde der Hof auf Bitten durch ein kleines Stück des angrenzenden Berges erweitert. Die Bewegungsmöglichkeit für diejenigen Offiziere, deren Geldverhältnisse die Beteiligung am Tennisspiel erlauben, ist ausreichend, für die anderen absolut ungenügend.8
Während die Offiziere anfangs unter Führung eines japanischen Offiziers spazieren gehen durften, müssen sie seit 24.II.1915 mit den Mannschaften zusammen ausgehen, was der Haager Konvention widerspricht.9
 

»III. Sanitäre Verhältnisse«

Bei den sanitären Verhältnissen finden sich zahlreiche ernste und gefährliche Missstände, deren Beseitigung unbedingt verlangt werden muss.

Hygienische Einrichtung

Die Abortanlagen sind von primitivster Art: einfache Gruben ohne Deckel, die fast nie desinfiziert werden, außer wenn der Besuch höherer japanischer Offiziere zur Inspizierung der Lager bevorsteht. Da die Aborte unmittelbar neben den Wohnräumen liegen, fast überall nur wenige Meter entfernt, macht der Geruch häufig, besonders an warmen Tagen, den Aufenthalt in den Räumen unerquicklich. Da es im Sommer außerordentlich viel Fliegen gibt, bildet dieses System der Abortanlage eine große gesundheitliche Gefahr. Im Tempel Chofukuji ist die Grube zu klein und läuft fast jeden zweiten Tag über, wobei die überfließende Jauche teils in den kleinen Teich neben dem Tempel, teils sogar unter den Tempel selbst läuft. Trotz wiederholter Beschwerden auch beim Arzt konnte eine Abhilfe bisher nicht erreicht werden. Die Abfuhr von Fäkalien erfolgt in offenen Kübeln, wodurch der Geruch weithin verbreitet wird; im Tempel Dairinji führt sie direkt an der Feldwebelstube vorbei, sodass der Geruch sich dort stundenlang fängt.

Die Strohmatten, die den Bodenbelag bilden, entsprechen ebenfalls nicht den hygienischen Forderungen, die an einen Massenunterbringungsraum zu stellen sind, denn sie sind voller Staub und Ungeziefer. Trotzdem ist es ausdrücklich verboten, sie auszuklopfen, eine gründliche Reinigung ist somit ausgeschlossen. Das Ungeziefer, hauptsächlich Flöhe, tritt besonders im Sommer so reichlich auf, dass es zu einer großen Plage und, mit Rücksicht auf die Übertragung von Krankheltskeimen, zu einer ernsten Gefahr wird; viele der Leute sind dauernd über den ganzen Körper mit Flohstichen bedeckt. Auch die außerordentlich zahlreichen Ratten, die sich nachts ungescheut zwischen den Schlafenden bewegen, sind eine ekelhafte Plage.

Die Ausführung der Wäsche durch den vom Lagerkommando angestellten japanischen Waschmann ist schlecht (die Wäsche kommt im Sommer stets mit üblem Geruch zurück) und ist teuer. Für diejenigen Mannschaften, die sich des Waschmanns nicht bedienen können, ist bisher trotz aller Anträge eine Gelegenheit zum Kochen der Wäsche nicht beschafft worden; eine hygienische Ausführung des Waschens ist infolgedessen unmöglich.

Die Wasserverhältnisse sind zum Teil sehr schlecht. Im Lager Kokaido muss das Wasser zum Waschen und Baden aus einem Brunnen entnommen werden, der 4-5 Meter von der Hoflatrine entfernt liegt und tiefer ist als diese. Der zweite Brunnen, der sich in der Küche befindet, ist stark verschlammt und wimmelt voll Wassertierchen.
10 bis 12 Meter vom Brunnen des Lagers Guganji entfernt wurde eine Leiche in einem Grabe beigesetzt, das bis ins Grundwasser hinabreichte. Beim Ausräumen des Brunnens des Tempels Jofukuji wurden im Brunnen Knochen gefunden. Der Brunnen des Offizierstempels stürzte Anfang November ein und ist immer noch nicht wieder gebrauchsfähig; begonnen wurde mit der Reparatur im Februar. Filter wurden von der japanischen Behörde nirgends geliefert; wo sie im Gebrauch sind, sind sie aus privaten Mitteln der Kriegsgefangenen beschafft. Im Tempel Dairinji sind die Brunnen nicht tief genug gebohrt, daher ist das Wasser namentlich im Sommer übelriechend.

Das Fleisch für die Mannschaften im Lager Jamagoje, das auch im Sommer bereits am Mittag des dem Gebrauch vorhergehenden Tages angeliefert wurde, ist oft in der Hitze ganz oder teilweise verdorben. Ein Antrag auf Stellung von Eis wurde abgelehnt; die Bitte, dann wenigstens das Fleisch erst am Morgen des Verbrauchstages gegen 7 Uhr zu liefern, lehnte Hauptmann Shiraishi ab mit der Begründung, so früh könne er nicht aufstehen.

Wie bereits erwähnt, tragen die Bestrafungen zum Teil einen gesundheitsschädlichen Charakter. Entziehung des Ausganges, der einzigen richtigen Bewegungsmöglichkeit, und des Bades, der einzigen Möglichkeit gründlicher körperlicher Reinigung, müssen als unzulässig bezeichnet werden.

Krankenbehandlung

Gegen die Behandlung im Lazarett ist im Wesentlichen nichts einzuwenden; es wird nur über das unzureichende und unschmackhafte Essen geklagt, das nicht den Anforderungen entspricht, die an Krankenkost zu stellen sind.

Dagegen muss aufs Schärfste protestiert werden gegen die überaus nachlässige und leichtfertige Art, mit der Leichtkranke und andere Kranke vor ihrer Aufnahme ins Lazarett behandelt werden. Es fehlt überhaupt an einer Revierkrankenstube, in der Leichtkranke alsbald von ihren Kameraden abgesondert werden. Selbst Kranke mit hohem Fieber müssen tagelang in den allgemeinen Wohn- und Schlafräumen liegen bleiben. Die als Anlage beigefügte Liste zeigt eine Anzahl solcher Fälle. Die Kranken entbehren auf diese Weise nicht nur der erforderlichen Ruhe und Pflege und bleiben der ungesunden, sehr staubigen Luft der gemeinsamen Räume ausgesetzt (vergleiche das oben über die Matten Gesagte), sondern bilden auch eine beständige Gefahr der Ansteckung für die Gesunden. Eine etwa ausbrechende Seuche müsste mangels der sofortigen Isolierung der zuerst Befallenen alsbald das ganze Lager ergreifen, wie die zahlreichen Influenzafälle dieses Winters gezeigt haben.
Die japanische Lagerbehörde ist sich dessen auch bewusst, hat aber nur die unglaublich klingende Massregel, dass die Kranken in eine Ecke des gemeinsamen Raumes zusammengelegt werden sollten, als ausreichend befunden. Nur im Tempel Dairinji ist einmal für 7 Influenzakranke eine Art Revierstube eingerichtet worden, die aber unzureichend war, denn für die 7 Kranken stand nur ein Raum von 36 qm zur Verfügung und die Pflege geschah durch Kameraden, die ihrerseits weiter unter den Gesunden lebten – von einer wirksamen Isolierung kann also auch in diesem Falle nicht die Rede sein.

Wie ablehnend sich das japanische Lagerkommando ernsten Ansteckungsgefahren gegenüber verhält, zeigt auch der Fall im Lager Kokaido, wo einer der Seesoldaten mit einem stark vorgeschrittenen Lungenleiden behaftet ist. Trotz der großen Gefahr, die dieser Mann bei dem engen Zusammenleben für seine Kameraden bildet, wurde er erst nach mehr einem Jahr im Dezember 1915 ins Lazarett aufgenommen, nach wenigen Tagen wieder entlassen und erst am 23.II.1916 von neuem ins Lazarett überführt.
Der geisteskranke Seesoldat Quedenbaum, der wiederholt schwere Tobsuchtsanfälle gehabt hat, ist im Lazarett zu anderen deutschen Kranken ins Zimmer gelegt worden, die er durch seine irren Reden und Handlungen sehr gestört und beängstigt hat. Seit dem 19.II.1916 befindet er sich wieder im Lager Kokaido; dies geschah zwar auf seinen Wunsch, es erschelnt aber sehr fraglich, ob in einem so akuten Falle der Arzt den persönlichen Wünschen des Kranken nachgeben darf.
Der Waffenmeister Grocholl, der sichtlich an akutem Verfolgungswahn leidet, ist trotz wiederholter Anträge seitens des Majors Kleemann erst Ende Februar 1916 ins Lazarett gekommen.
Es muss noch besonders darauf hingewiesen werden, eine wie große Störung und Erschwerung des Lebens die Anwesenheit solcher Geisteskranken bei den überaus engen Wohnverhältnissen für die gesunden Kriegsgefangenen bildet.

Die Auffassung des Lagerarztes über seine Pflichten kann nicht gebilligt werden. Während wohl überall die Ansicht besteht, dass der Arzt die Pflicht hat, Neuerkranktemöglichst bald zu untersuchen, überlässt der Lagerarzt in sehr vielen Fällen die Diagnose und Anordnung der Behandlung zunächst seinem Unterpersonal und sieht selbst die Kranken erst nach einigen Tagen. Ein besonders schlimmer Fall dieser Art ereignete sich bezüglich des Polizeiwachtmeisters Maaß, der einen heftigen Malariaanfall hatte und erst am neunten Tage vom Arzt untersucht wurde, während bis dahin das japanische Unterpersonal seine Behandlung geleidet [sic] hatte.

Der Zahnarzt ist teuer und arbeitet so schlecht, dass in einer ganzen Reihe von Fällen die Plomben nach kurzer Zeit wieder herausfielen. Auch sind grobe Unregelmäßigkeiten in der Rechnungsaufstellung vorgekommen – eine Rechnung musste von ihm von Yen 643,- auf Yen 437,- herabgesetzt werden, sodass nlemand mehr Vertrauen zu dem Mann hat. Trotzdem wurde die Bitte zur Behandlung durch einen anderen Zahnarzt abgelehnt.
 

»IV. Post«

1) Verzögerung der Briefpost

Die Zensur der aus- und eingehenden Post ist einem nur mangelhaft deutsch sprechenden Offizier, der nebenher noch anderen Dienst hat, und einem Zivildolmetscher übertragen. Bei der großen Zahl der hier befindlichen Reservisten, Kaufleute und Beamten aus Ostaslen, die große Korrespondenz haben, kann die Arbeit durch diese beiden Persönlichkeiten nicht bewältigt werden. Infolgedessen waren anfangs bei den aus- und eingehenden Briefen Verzögerungen von mehreren Monaten häufig; auch jetzt noch erleiden Briefe oft eine Verzögerung bis zu sechs Wochen, längere kommen vor. (Siehe Beispiele in der beiliegenden Liste nebst Brlefumschlälgen, aus denen sich die Verzögerung feststellen lässt.)

Die Bearbeitung der Post erfolgt ohne jedes System: neue Sendungen werden anscheinend auf den Stapel der älteren Post einfach aufgelegt. Einige Male wurde zwar durch Hinzuziehung eines zweiten Offiziere und Überweisen von Briefen nach Tokio Abhilfe geschaffen, jedoch diese Besserung war nie von längerer Dauer.

Trotz der geringen Schreiberlaubnis (Offiziere monatlich 3 Karten, 3 Briefe zu 2 Seiten auf vorgeschriebenem liniertem Format, Deckoffiziere und Feldwebel 2 Briefe, 2 Karten, Unteroffiziere und Mannschaften 1 Brief, 1 Karte) erleidet auch die ausgehende Post starke Verzögerung. Hierfür einige Beispiele:
Zwei Einschreibebrlefe des Polizeiwachtmeisters Trost, beide am 19.XII.1914 abgegeben, wurden ohne Briefe am 10.I.1915 dem Absender zurückgegeben. Das Gleiche geschah mit einem Einschreibebrlef des Polizeiwachtmeisters Jakob. Ein von Sergeant Fabel an einen anderen Kriegsgefangenen in Matsuyama gerichteter Brief gelangte erst nach 21 Tagen in die Hände des Empfängers. Ein Brief des Sergeanten Linke ging erst nach 23 Tagen von hier ab.
Bitten, die Post in den einzelnen Lagern staffelweise, an verschiedenen Daten, anstatt am ersten und fünfzehnten jeden Monats gleichzeitig abgehen zu lassen, wurden abgewiesen.

Die Anzahl der erlaubten Briefe und Karten ist im Hinblick zu anderen Lagern sehr gering. So durften die Offiziere in Kumamoto wöchentlich 2 Briefe erheblich größeren Formats ohne Linien und 2 Karten abgeben.

Wie schwer in anderen Ländern selbst erheblich geringere Verzögerungen der Gefangenenpost beurteilt werden, ergibt sich aus der Tatsache, dass der französische Kriegsminister Repressalien angeordnet hat, weil in Deutschland die ausgehende Post der kriegsgefangenen Franzosen eine regelmäßige Verzögerung von nur 10 Tagen erleidet.

2) Verschwinden von Briefen
Alle Briefe geschäftlichen Inhalts werden nicht befördert. Dies ist unzulässig, denn es macht den Kriegsgefangenen die Wahrnehmung ihrer Vermögensinteressen in China unmöglich. Außerdem aber werden diese Briefe nicht zurückgegeben, sondern verschwinden einfach, sodass der Betreffende in Ungewissheit bleibt, ob sein Brief als geschäftlich angesehen worden ist oder nicht.

3) Paketpost
Anfänglich blieben die Pakete viele Tage ohne Grund unausgegeben liegen. Infolgedessen waren Esswaren sehr häufig bei der Ausgabe verdorben, so z.B. eine Wurstsendung des Schlachters Herz in Yokohama, die erst nach einwöchigem Liegen in total verdorbenem Zustand ausgeliefert wurde und deshalb zurückgewiesen werden musste. In mindestens einem Falle wurden die für die Mannschaften bestimmten Pakete ausgegeben, während auf Anordnung des Oberleutnants Hangu [Hongu] die für Offiziere liegen blieben (Zeuge Unteroffizier Schaefauer). Jetzt ist die Paketausgabe unter deutscher Mitwirkung befriedigend geregelt. Nur Zigarrensendungen kommen auch jetzt noch oft zertrümmert und ihres Inhalts ganz oder teilweise beraubt an.

4) Telegramme
Telegramme bleiben laut einer gedruckten Vorschrift »zur Schonung des Personals« bis zu drei Tagen liegen. Beispiel: Feldwebel Zimmermann gab am 12.II.1916 ein Telegramm an seine schwer erkrankte Frau in Shanghai auf; da nach 3 Tagen noch keine Antwort eingelaufen war, erkundigte er sich bei der Zensur. Das Telegramm war noch nicht abgesandt.
 

»Anträge«

Die Forderungen, die wir deutschen Kriegsgefangenen in Matsuyama mindestens erheben und deren Erfüllung wir mit allem Nachdruck verlangen müssen, sind folgende:
1) Die Vollstreckung der Arreststrafe darf nicht unmenschlich sein. Im Winter sind Decken zu stellen und im Sommer muss ein Moskitonetz gegeben werden.
1a) Misshandlungen der Gefangenen müssen durch strenge Vorschriften an das Bewachungspersonal unmöglich gemacht werden.
2) Es muss ein geregeltes Beschwerdeverfahren für Offiziere und Mannschaften eingerichtet werden. Der Bescheid ist möglichst bald und auf eine schriftliche Beschwerde schriftlich zu erteilen.
3) Den Mannschaften muss mehr Raum zur Verfügung gestellt werden, eventuell durch Hinzufügung weiterer Räume.
4) Den Mannschaften sind Betten und Strohsäcke zu geben und die Bettlaken, soweit sie gebrauchsunfähig geworden sind, zu erneuern.
5) Den Mannschaften ist ausreichende und regelmäßige Gelegenheit zur körperlichen Bewegung und Ausarbeitung zu geben; am besten geschieht das durch Einrichtung eines genügend großen Sportplatzes beim Lager; sollte das unmöglich sein, sind mindestens zweimal in der Woche mehrstündige Bewegungsspiele auf einem anderen Platze zu veranstalten.
6) Es muss eine Revierstube eingerichtet werden, in der Neuerkrankte alsbald abgesondert werden. Für jeden Kranken ist so bald als irgend möglich Behandlung durch den Lagerarzt zu gewähren. In allen Tempeln müssen die Abortanlagen verbessert und ausreichende Mittel gegen die Ungeziefer- und Rattenplage ergriffen werden. In jedem Lager muss eine Gelegenheit zum hygienisch ordnungsmäßigen Waschen für die Mannschaften eingerichtet werden.
7) Die Erledigung der Post ist – wenn nötig durch Einstellung weiterer Dolmetscher – regelmäßig und pünktlich zu gestalten. Beanstandete ausgehende Briefe dürfen nicht unterdrückt werden, sondern sind dem Absender zurückzugeben. Den Kriegsgefangenen muss Gelegenheit gegeben werden, für ihre Vermögensverhältnisse Sorge zu tragen; derartige Briefe dürfen nicht zurückgehalten werden.
 

Matsuyama 5. 3. 16
Im Namen der kriegsgefangenen Offiziere
Kleemann, Major
 

Anmerkungen

1.  Korrekte Schreibung wohl: Maekawa, bei Welles: Miyayama. – Warum mag der Verfasser diese »Peanuts« an den Anfang gestellt haben? Hat er erwartet, in Gefangenschaft die gleiche Hochschätzung (bzw. Überschätzung) zu erfahren wie in der Heimat? Vollerthun (S. VII) schrieb später: »Mit dem Martyrium, das so viele unserer Kameraden in Rußland und Frankreich zu erleiden hatten, hält unsere fünfjährige japanische Gefangenschaft ganz sicher einen Vergleich nicht aus. Aber von diesem Zustand bis zu dem der ritterlichen Behandlung, wie man sie sich bei uns daheim vielfach dachte, gibt es unendlich viele Stufen.«

2.  Der Kurumer Ex-Gefangene Klemann hat in seinem Japan-Buch sehr krasse Fomulierungen verwendet, die allerdings für einen großen Teil der deutschen Offiziere stehen.

3.  Siehe dazu unsere Übersicht zum »Lagerfeuer». Das Verbot wurde jedoch bald wieder aufgehoben, sodass die Zeitschrift bis März 1917 erscheinen konnte; vgl. Günther (S. 17-24) mit einigen Richtigstellungen, z.B. was die Verbotsgründe betrifft.

4.  Ähnlich äußerte sich später auch Ex-Gouverneur Meyer-Waldeck (Abschnitt »Besatzungszeit«).

5.  Dies als »Folterung« zu bezeichnen, ist wohl unangemessen.

6.  Nicht in der Liste; es könnte sich um Noecker oder Wacker gehandelt haben.

7.  Es ist nicht klar, welche Bestimmung der HLKO der Verfasser hier heranziehen will.

8.  Hierzu könnte man allerdings fragen, wieso die praktische Solidarität unter den Offizieren nicht groß genug war, um allen das Mitspielen zu ermöglichen.

9.  Wie Fußnote 7.
 

©  für diese Fassung: Hans-Joachim Schmidt
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