Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


Kameradschaftstreffen

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Kameradschaftstreffen in Nürnberg am 05./06. September 1964

 

VivatbandVorbemerkungen

Die hier wiedergegebenen Dokumente stammen aus den Nachlässen ehemaliger »Tsingtauer«. Der Zeitungsartikel von Eduard Leipold erschien am 04.09.1964 im »Tageblatt« und stammt (laut Stempel) aus dem Nachlass von Heinz Kunz.
Der Redakteur hat Schreibfehler (in Original oder Abschrift) korrigiert, Abkürzungen durchweg ausgeschrieben, Zwischenüberschriften sowie eigene Zusätze in [ ] oder als Anmerkungen hinzugesetzt.

Übersicht

  1. Einladungsschreiben
  2. Faltblatt zur Einladung
  3. Grußwort
  4. Zeitungsartikel (Eduard Leipold)
  5. Teilnehmerliste
  6. Rückblick

 

I. Einladungsschreiben

[Liegt nicht vor.]
 

II. Faltblatt zur Einladung

Faltblatt1[Seite 1]
Bildunterschrift: Schantung-Straße in Tsingtau-Tapautau

Jubiläumstreffen der Tsingtau-Kameraden in Nürnberg

am 5. und 6. September 1964

Bisherige Treffen:
1939 in Dissen, 1949 in Hamburg, 1954 in Hamburg, 1959 in Cuxhaven, 1960 in Coburg, 1962 in Bremen1

Faltblatt2[Seite 2]
Lieber Tsingtau-Kamerad!
50 Jahre sind vergangen, seit die letzte Besatzung unser damaliges Schutzgebiet Kiautschou verlassen mußte.2
In der Zwischenzeit wurden viele größere Treffen veranstaltet, zuletzt im Jahre 1962 in Bremen. Hier wurde auch von allen Seiten angeregt, ein großes Erinnerungstreffen zu organisieren.
Es ist aber leichter gesagt als getan. Unsere Reihen lichten sich zusehends, und es wird immer schwieriger, mitarbeitende Kameraden zu finden, ohne die ein solches Treffen nicht aufgezogen werden kann.
Viele Kameraden in zentral gelegenen Städten wurden ergebnislos angeschrieben, erst in Nürnberg hatten wir Erfolg. Dort wohnende Kameraden erklärten sich bereit, die örtliche Organisation zu übernehmen.3
Mit diesem Treffen kommen wir den Wünschen vieler Kameraden aus dem süd- und westdeutschen Raum und insbesondere der Besatzung der Kaiserin Elisabeth in Österreich entgegen.
Daß Nürnberg eine unserer schönsten Städte mit vielen Sehenswürdigkeiten ist, sei am Rande vermerkt.
In unserem Alter – es gibt nur noch wenige Kameraden unter 70 – sind uns Erinnerungen ein wertvolles Gut. Wir denken an die schönen und ereignisreichen Erlebnisse auf unserer »Grünen Insel« in Friedenszeiten, an die Kampfgemeinschaft in Schützengräben, Infanteriewerken, Batterien und auf den Schiffseinheiten. Die vor 50 und mehr Jahren gegründeten Kamerad- und Freundschaften bestehen noch heute.
Seien wir also froh und dankbar, daß es uns vergönnt ist, bei der vielleicht letzten größeren Wiedersehensfeier dabei sein zu können.
Alle, die einmal »draußen« waren, wozu auch die Besatzungen des Ostasien-Geschwaders und Zivilisten gehören, sind herzlich eingeladen.

Faltblatt3Seite 3
Wir wollen unserer gefallenen Kameraden beider Kriege gedenken, aber auch die nicht vergessen, die während unserer über fünfjährigen Gefangenschaft hinter Stacheldraht verstarben. Von ihnen wissen wir, daß ihre Gräber von japanischen Frauen und Männern (Gärtnern der Liebe, wie sie in der blumenreichen Sprache der Japaner genannt werden) gepflegt und in Ordnung gehalten werden.4 Als Anerkennung und Dankesgabe überwiesen wir diesen Freunden 250 DM. In Nürnberg wollen wir darüber beraten, ob wir auch in diesem Jahre eine gleiche Spende überweisen wollen bzw. können.
Nun liegt es an jedem einzelnen von uns, mitzuhelfen und zu »werben«, damit unser Treffen in Nürnberg auch ein wirklich großes wird. Tut Euch zusammen, verabredet gemeinsame Fahrten mit Bus oder Bahn. Natürlich sind auch unsere Frauen wieder mit dabei. Die beigefügte Teilnehmerkarte bitte recht bald ausfüllen und an Kamerad Albrecht senden. Dasselbe gilt für die Quartierbestellung (Karte). Zur Deckung der Unkosten bitten wir um einen Mindestbeitrag von 4 DM. (Anbei Zahlkarte.) Konto-Nr. 220 00 Postscheckamt Hannover. Betr.-Konto 11456.
In der Hoffnung auf ein frohes und gesundes Wiedersehen in Nürnberg senden kameradschaftliche Grüße5
A. Rist, Nürnberg  Chr. v. Tucher, Nürnberg
Fr. Albrecht, Bad Salzuflen – K. Beder, Cuxhaven – J. Jung, Kaiserslautern
H. Kastner, München – Fr. Kläschen, Leck – Ed. Leipold, Coburg
Karl Schmitz, Köln-Vingst – Fr. Schulte, Hoya
Vizeadmiral a. D. Straehler, Timmendorferstrand

Faltblatt4Seite 4
PROGRAMM
Kameraden, die bereits am Freitag, dem 4. September, eintreffen, kommen im Tucher-Bräustübl, Kartäusertor 1, zusammen (ca. 400 Meter vom Bahnhof).
Sonnabend, den 5. September:
 Vormittags zwangloses Treffen im Tucher-Bräustübl.
16 Uhr: Sammeln im Saal des Kulturvereins, Frauentorgraben 49, etwa 800 m vom Hauptbahnhof.
16 bis 17 Uhr: Einträgen in Anwesenheitsliste.
17 Uhr: Begrüßung durch Kamerad von Tucher, Nürnberg.
 Ansprache: Kamerad Vizeadmiral a. D. Straehler
 Vortrag: Kamerad Konteradmiral a. D. Behrend6
 »Erinnerungen an Tsingtau und Tsingtau von heute«
 Vortrag des Botschafters a. D. Eug. Ott über »Ostasien von heute«
18.30 bis 19.30 Uhr: Gemeinsames Abendbrot. Nürnberger Bratwürste mit Kraut etc., 2,50 DM.
Zwischendurch und anschließend singt der Singchor »Die blauen Jungs« der Marine-Kameradschaft Bamberg Seemannslieder. (Es ist ein sehr guter und weiten Kreisen bekannter Chor.)
Über Vorhaben am Sonntag beschließen wir im Laufe des Abends.
Änderungen des Programms bleiben Vorbehalten.

 

III. Grußwort (Hara)

GrußwortDer Gouverneur der japanischen Präfektur Tokushima übermittelte zum Treffen das links gezeigte Grußwort, das anschließend im Volltext wiedergegeben wird. Die Vorlage stammt aus den Nachlass von Gottlob Höss.
 

[Kopfzeilen:] In ehrendem Gedenken / anläßlich des Wiedersehentreffens in Nürnberg am 5./6. 9. 1964 / der braven deutschen Soldaten / welche im I. Weltkriege kämpften

[Text:] Im Namen von 850 000 Einwohnern der Präfektur von Tokushima möchte ich den alten braven Kämpfern, die am I. Weltkrieg teilgenommen haben, und an dem Treffen in Nürnberg teilnehmen können, herzlichst gratulieren.
Ich möchte gerne all denjenigen, die sich noch im Besitze guter Gesundheit erfreuen, und aktiv an dem Geschehen in Deutschland wirken und an den guten Beziehungen zwischen Deutschland und Japan Anteil nehmen, meine Hochachtung aussprechen.
Wir, die Japaner, bezeugen große Hochachtung für Ihr Land, das eine historische Verbindung mit unserem Land hat. Wir bewundern die überwältigende Wiederaufbauarbeit als Folge der Zerstörungen im II. Weltkriege, die das Deutsche Volk geleistet hat.
Die überaus starken Anstrengungen der deutschen Wirtschaft und die schnelle Entwicklung des Wiederaufbaues verdienen höchste Anerkennung für alle Deutschen. Ihr Land und Tokushima haben stets gute Beziehungen zueinander gehabt. Im Jahre 1870 besuchte Dr. Nagayoshi Nagai Ihr Land um dort als erster Mann von Tokushima die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Pharmazeutik zu studieren, um sie bei uns nutzbringend anzuwenden. Während des I. Weltkrieges befand sich in Tokushima ein Kriegsgefangenen-Lager.7 Nach dem II. Weltkriege wurden die unterbrochenen Beziehungen zwischen Tokushima – Deutschland und Japan wieder aufgenommen. Eine moderne Brücke wurde nach der wunderbaren Methode deutscher Ingenieure gebaut. Viele deutsche Wirtschaftler, Lehrer und Politiker, einschließlich Dr. Wilhelm Haas, früherer deutscher Botschafter in Japan, besuchten Tokushima. Viele Geschäftsleute aus Tokushima sowie Regierungsbeamte, Lehrer und Studenten besuchten Ihr Land um dort zu studieren. Der wirtschaftliche, technische, wissenschaftliche und der kulturelle Austausch-hat sich vergrößert; desgleichen der Austausch von Literatur auf speziellen Gebieten der Industrie und Völkerkunde.
Im Frühjahr 1962 war ich durch Ihre Regierung eingeladen und besuchte Ihr Land für drei Wochen. Überall wurde ich warm und herzlich empfangen und war sehr beeindruckt von der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Besonders auffallend stellte ich fest, daß zwischen dem Japanischen und Deutschen Volk eine tiefe Freundschaft besteht. Es ist eine große Freude, diese beiderseitige Vertiefung der freundschaftlichen Gefühle feststellen zu können.
Unter den nun in Nürnberg versammelten Kameraden sind auch wohl einige, die im Lager Tokushima waren. Ihre elf Kameraden, die dort starben, ruhen in Bando bei Oasa-Cho.
Es ist eine große Freude und Ehre, daß Frau Harue Takahashi, die Betreuerin der Grabstätten, die sie seit vielen Jahren pflegt und mit Blumen schmückt, durch den Herrn Präsidenten der Bundesrepublik die Bundes-Verdienstmedaille, verliehen wurde.8
Es ist vornehmlichst Ihr guter Wille und die Bemühungen des Herrn Leipold, daß man Oasa-Cho gegenüber schon vor drei Jahren ein warmes Herz gezeigt hat, und nun Frau Takahashi vor kurzer Zeit dekorierte. Ich danke Ihnen namens der Einwohnerschaft.
Ich wäre sehr gerne zu dem Treffen gekommen, um Sie zu sehen und meinen Dank abzustatten. Aber leider ist es sehr schade, daß ich nicht kommen kann.
Ich trinke hier in Tokushima auf Ihr aller Wohl und gratuliere Ihnen zu Ihrem wunderbaren Treffen mit warmherzigen Erinnerungen.
Zum Schluß wünsche ich Ihnen viel Freude und Gesundheit. Ich erwarte Ihre weitere Hilfe und guten Willen für die weitere Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden großen Ländern.
Ich danke Ihnen
Kikutaro Hara, Governor of Tokushima Pref.

Als weitere Gratulanten grüßen bestens die ehemaligen Japanischen Tsingtau-Kämpfer:
Kikujiro Yuasa, Ryuji Nakayama, Makio Muya, Toshio Nakamura
 

IV. Zeitungsartikel (Leipold)

Vor 50 Jahren fiel TSINGTAU

Zum Gedenken des Falles Tsingtau-Kiautschous vor 50 Jahren veranstaltet die Tsingtau-Kameradschaft am 5./6. September im Kulturverein Nürnberg ein Kameradschaftstreffen. Angehörige der ehemaligen Besatzung Tsingtau-Kiautschous und dort stationierter deutscher Kriegsschiffe nehmen daran teil. Auch von der damaligen Besatzung des österreichischen Kreuzers Kaiserin Elisabeth, die in treuer Waffenbrüderschaft uns bei der Verteidigung Tsingtaus zur Seite stand, werden einige Kameraden dabei sein. Dazu noch ehemalige Zivil-Tsingtauer. Die Jüngsten dieser Ostasien-Veteranen haben fast durchweg die 70 erreicht. Neben dem Gedanken an Tsingtau sind es die Erinnerungen an die eigenartigen Erlebnisse im Fernen Osten, welche die noch rüstigen Tsingtauer immer noch zusammenführten. Bei den letzten Jahrgängen vor allem die bei der Verteidigung Tsingtaus und während einer über fünfjährigen Kriegsgefangenschaft in Japan bewährte Kameradschaft.

Mancher der jüngeren Generation wird sich fragen: »Was und wo ist Tsingtau?«
Nun, Tsingtau war Verwaltungs- und Hafenstadt des deutschen Schutzgebietes Kiautschou auf der Schangtung-Halbinsel in China.
Vor der Jahrhundertwende entstand, durch Fehler der chinesischen Hofkreise, steigende Unzufriedenheit in weiten Kreisen des chinesischen Volkes, die sich auch gegen die Fremden richtete. Von chinesischen Regierungsstellen insgeheim unterstützt, verbreitete sich diese fremdenfeindliche Bewegung und führte dann zum Boxeraufstand. Zum Schutze ihrer dortigen Interessen hatten verschiedene fremde Märkte auf chinesischem Gebiet oder in benachbarten ostsiatischen Ländern Stützpunkte oder Kolonien in Besitz genommen.9
Als dann in der chinesischen Provinz Schangtung zwei deutsche Missionare ermordet worden waren, nahm dies die damalige deutsche kaiserliche Regierung zum Anlaß und ließ Tsingtau besetzen. Unter dem Kommando des [Konter-]Admirals Dietrichsen [Diederichs] fuhr am 14. November 1897 ein Kriegschiffgeschwader in die Kiautschoubucht ein. Eine Landungsabteilung besetzte dann die Höhen um Tsingtau. Nach Verhandlung mit der chinesischen Regierung wurde am 6. 4. 1898 ein Vertrag abgeschlossen und das Kiautschougebiet auf 99 Jahre an Deutschland verpachtet. Tsingtau war damals ein kleineres chinesisches Fischerdorf, das ganze Gebiet war wenig erschlossen und ohne wirtschaftliche Bedeutung.
Das Kiautschougebiet war ca. 500 qkm groß, im Umkreis von 50 km der Gebietsgrenze war deutsches Interessengebiet mit Vorrechten zur Ausnutzung der wertvollen Bodenschätze an Kohlen und Eisen.

Sofort nach Übernahme des Gebietes unter deutsche Verwaltung wurde der Aufbau Tsingtaus zu einer wichtigen Hafen- und Handelsstadt energisch in Angriff genommen durch Bau eines größeren Hafens mit festen Molen, Werft und Schwimmdock, Errichtung fester Straßen vom Hafengebiet nach der emporwachsenden Stadt bis an die Gebietsgrenze, zuletzt noch durch den Bau der Schangtungeisenbahn wurde Tsingtau der internationalen Schiffahrt und dem Weltverkehr erschlossen.10 Entstehende Verwaltungsgebäude, Geschäfts- und Wohnhäuser, Fabrikbetrieb, Schulen und Krankenhäuser änderten von Jahr zu Jahr das Stadtbild Tsingtaus. Aus dem Hinterland und chinesischen Gebieten kamen viele Chinesen als Geschäftsleute, Händler und Arbeiter nach Tsingtau. Unter deutscher Verwaltung konnten diese in Ruhe ihre Geschäfte abwickeln, fanden bei höherem Verdienst auch bessere Lebensbedingungen als im übrigen China.
Für diese chinesischen Einwanderer entstand im Stadtteil Papanteil [Tapautau] ein chinesisches Geschäfts- und Wohngebiet, mit Läden, Wirtschaftsbetrieben und Vergnügungslokalen. Nach 16 Jahren deutscher Verwaltung war an der Küste des Gelben Meeres eine Stadt entstanden, schön, sauber, mit allen technischen Einrichtungen wie Wasserleitung, Elektrizität. Die früher kahlen Hügel und Berge waren aufgeforstet. Das frische Grün dieser Forstanlagen, auch der Parks und Gärten, erinnerte nicht mehr an das Tsingtau vor 10–15 Jahren. Der Reisende, der in den Jahren vor Ausbruch des 1. Weltkrieges mit dem Schiff in die Bucht einfuhr, konnte glauben, eine Stadt in Deutschland vor sich zu sehen.
Die deutsche Regierung hatte 200 Millionen [Mark] zum Aufbau Tsingtaus ausgegeben. Erheblich sind auch die Summen, die deutsche Firmen und Geschäfte in Tsingtau investiert hatten. Der Aktienwert der Schangtung-Eisenbahn betrug allein 65 Millionen.
Mit dem Aufbau Tsingtau-Kiautschous hat Deutschland eine vorbildliche, einmalige kolonisatorische Leistung vollbracht. Für Deutschland und für die Chinesen hätte dies großen Nutzen erbringen können. Auf- und Ausbau war noch nicht beendet, manches war noch geplant. Der Ausbruch des Krieges 1914 setzte darunter einen Schlußstrich.
Wenn die anderen Kolonialmächte ähnlich kolonisiert hätten, dann wäre heute die Entwicklungshilfe nicht notwendig.11

Die Militär-Besatzung Tsingtau-Kiautschous

Zum Schutze des Kiautschougebietes erhielt Tsingtau eine Marinebesatzung. Bei Ausbruch des Krieges bestand diese aus einem verstärkten Marine-Infanterie-Bataillon und einer Abteilung Matrosen-Artillerie, insgesamt ca. 2500 Mann. Sodann war dort stationiert das ostasiatische Kreuzergeschwader mit zwei großen und drei kleinen Kreuzern, drei Kanonen- und zwei Torpedobooten. Ein kleinerer Kreuzer mit noch Segeltakelage [= Cormoran] war meistens bei den deutschen Südseebesitzungen eingesetzt.
Anfang 1914 kamen noch zwei Flugzeuge nach Tsingtau. Kurz nach Kriegsbeginn stürzte ein Flugzeug ab und konnte nicht mehr eingesetzt werden. Das zweite, unter Oberleutnant zur See Plüschow, bekannt als »Der Tiger [Flieger] von Tsingtau«, leistete bei der Verteidigung Tsingtaus wertvolle Dienste.
Das Torpedoboot Taku lief im Sommer 1914 in der Tsingtau-Bucht auf ein Riff und brach auseinander.12

Kriegsausbruch 1914
Die Ungewißheit nach dem Mord in Serajewo wurde durch die Mobilmachung beendet. Gleich wie in der Heimat wurde diese auch im Kiautschougebiet angeordnet.
Die Verteidigungswerke wurden in kriegsmäßigen Zustand versetzt.
Die Marine-Detachements aus Peking und Tientsin wurden nach Tsingtau beordert. Aus allen Ländern Ostasiens kamen Reservisten und Kriegsfreiwillige nach Tsingtau. Ein Deutscher desertierte von der französischen Fremdenlegion in Indochina und wanderte quer durch China nach Tsingtau.
Der österreichische Kreuzer Kaiserin Elisabeth lief in Tsingtau ein, der Kommandant, Kapitän Makowiz, unterstellte sein Schiff dem Befehlshaber Tsingtaus, Gouverneur Kapitän zur See Meyer-Waldeck. Das Kreuzergeschwader außer Emden befand sich auf der Fahrt nach der Südsee. Auf Anordnung der Marineleitung nahm der Geschwaderchef, [Vize-]Admiral Graf von Spee, Kurs nach Amerika. Bei Coronel kam es am 1. November zum Gefecht mit einem englischen Kriegsverband, wobei 2 englische Kreuzer versenkt wurden. Am 8. Dezember 1914 wurde das Kreuzergeschwader von einem Verband englischer Schlachtschiffe gestellt, Scharnhorst und Gneisenau versenkt, Leipzig und Nürnberg hatten ihre Munition verschossen, waren manövrierunfähig und wurden von der eigenen Besatzung versenkt.
Emden kaperte die ersten Tage nach Kriegsausbruch in der Straße von Tsushima den Dampfer Ryäsan von der russischen Freiwilligen-Flotte und brachte ihn nach Tsingtau. Zwei Tage darauf fuhr Emden wieder aus zu seiner bekannten Kaperfahrt im Indischen Ozean. Bei den Kokosinseln fand diese erfolgreiche Fahrt ihr Ende. Von dem überlegenen australischen Kreuzer Sidney wurde Emden vernichtet.
Die Kanonenboote Tiger, Lux [Luchs] und Iltis wurden abgerüstet, mit deren Geschützen und Mannschaften wurde der Lloyddampfer Prinz Eitel Friedrich als Hilfskreuzer ausgerüstet, ging unter diesem Namen auf Kaperfahrt und vereinigte sich zeitweilig mit dem ostasiatischen Kreuzergeschwader.
Der kleine Kreuzer Comoran [Cormoran] war nicht mehr kriegsmäßig einzusetzen. Er wurde abgerüstet und mit dessen Armierung und Mannschaft der von Emden eingebrachte russische Dampfer als Hilfskreuzer ausgerüstet und ging als Hilfskreuzer Cormoran auf Kaperfahrt. Wegen abgewirtschafter Maschinen mußten die beiden Hilfskreuzer später amerikanische Häfen anlaufen und wurden interniert.
Der österreichische Kreuzer Kaiserin Elisabeth und Kanonenboot Jaguar leisteten von der Innenbucht den Verteidigern Tsingtaus wertvolle artilleristische Unterstützung. Torpedoboot S 90 hatte die ersten Tage nach Kriegsausbruch vor der Tsingtaubucht ein Gefecht mit einem englischen Zerstörer, das der Feind wegen Verlusten an Toten abbrach. Am 17. Oktober unternahm S 90 einen Angriff auf das japanische Blockadegeschwader und versenkte den japanischen Kreuzer Takatschio. An der Küste Südschangtungs ließ der Kommandant, Kapitänleutnant Brunner, S 90 auf Strand auflaufen und mit den letzten Torpedos sprengen.

Japan greift an
Am 16. August stellte Japan ein Ultimatum und verlangte die Übergabe des Kiautschougebietes. Der Gouverneur Meyer-Waldeck gab hierauf keine Antwort.13 Nach Ablauf der gestellten Frist erschien am 27. August ein japanischer Flottenverband vor der Bucht und teilte durch Funkspruch mit, daß über Tsingtau-Kiautschou die Blockade verhängt sei. Zu den japanischen Schiffen, bestehend aus fünf Linienschiffen, elf Kreuzern, zwei Kanonenbooten und 28 Zerstörern und Torpedobooten gesellte sich noch das englische Linienschiff Triumph.
Am 2. September landeten die Japaner bei Lungkon [Lungkou] an der Nordseite der Schangtung-Halbinsel Truppen. Diese setzten sich in Richtung Kiautschougebiet in Marsch. Weitere Truppen wurden an noch anderen Stellen gelandet.
Nach der Verhängung der Blockade belegten die japanisch-englischen Schiffe militärische Ziele Tsingtaus mit großkalibrigem Geschützfeuer. Als das englische Linienschiff von einem deutschen 24-cm-Geschütz einen Treffer erhielt, fuhr dieses nach Hongkong in Reparatur.
Die japanischen Schiffe hielten sich dann außerhalb der Reichweite der deutschen 24-cm-Geschütze (13,5 km). Ihre weiter reichenden Geschütze richteten jedoch wenig Schaden an.
Das Vorrücken der japanischen Truppen wurde an der Gebietsgrenze von schwächeren deutschen Abteilungen aufgefangen. Der Druck der verstärkt angreifenden Japaner wird aber stärker. Nach wochenlangen Gefechten müssen schließlich alle deutschen Abteilungen hinte die Hauptkampflinie zurück.
Die Zahl der deutsch-österreichischen Verteidiger belief sich mitsamt den Zugängen an Reservisten etc. auf ca. 3 700 Mann. Die Japaner hatten vor Tsingtau 50 000 bis 60 000 Mann eingesetzt, dazu zwei englisch-indische Bataillone mit 1350 Mann. (Diese Zahlen entstammen dem Buch »Der Kampf um Tsingtau« von Admiral Vollerthun). Inzwischen hatten die Japaner eine größere Anzahl Geschütze [an Land] herangebracht, darunter 28-cm-Mörser.
Von Land und von See wurden nun die deutschen Stellungen und kriegswichtigen Ziele stark unter Artilleriebeschuß genommen. Die deutschen Geschütze konnten das Artillerieduell nicht mehr durchhalten. Die Munition ging zu Ende, viele Geschütze waren bereits gesprengt, die Bedienungsmannschaften im Schützengraben, zum Auffüllen der durch Verluste entstandenen Lücken, eingesetzt.
Die letzte Woche überschüttete ein anhaltendes Trommelfeuer die vorderen Stellungen. Nur noch schwach konnten einzelne deutsche Geschütze das Feuer erwidern. Am 7. November früh durchbrachen japanische Sturmkolonnen die Mitte der Hauptverteidigungsstellung und rollten die übrigen Stellungen von hinten auf. Das Schicksal Tsingtaus war dadurch besiegelt. Am 7. November vormittags ist Tsingtau gefallen.
Die in den vorderen Stellungen gefangen genommenen deutschen Soldaten wurde gleich nach Schatzykou, einem Befehlshafen [Behelfshafen] 20 km von Tsingtau [entfernt] in Marsch gesetzt zum Abtransport nach Japan. Der Rest blieb noch drei Tage in Tsingtau. Während dieser Zeit wurden die gefallenen Kameraden auf dem Friedhof in Tsingtau feierlich begraben. Dann mußten die letzten Verteidiger Tsingtaus die Stadt und das Schutzgebiet zur über fünfjährigen Kriegsgefangenschaft in Japan verlassen.
Nach der vorzeitigen Beendigung des Pachtvertrages ist Tsingtau noch lange nicht zur Ruhe gekommen. 1920 [1922!] hatte Japan Tsingtau an China zurückgegeben, aber während der japanischen Invasion in China wurde Anfang 1938 Tsingtau wieder bis zum Ende des Weltkrieges 1945 besetzt. Wenn dabei auch die Zivilverwaltung von einem chinesischen Gouverneur ausgeführt wurde, war aber der dortige japanische Generalkonsul der eigentliche Lenker. 1945 übernahm ein chinesischer General, der zuvor gegen Japan im Lauschan gekämpft hatte, die Verwaltung. Die Japaner wurden evakuiert. Die USA landeten im September 1945 30 000 Mann in Tsingtau. Diese ließen jedoch der chinesischen Verwaltung freie Hand.
1949 marschierten die Kommunisten in Tsingtau ein und verwalteten dort nach kommunistischen Methoden. Das unter deutscher Verwaltung Geschaffene wurde als Grundlage benutzt und Tsingtau weiter ausgebaut.14
Tsingtau hatte 1914 ca. 70 000 Einwohner. Um 1920 war die Bevölkerung auf 200 000 angestiegen. Bis 1948 stieg deren Zahl auf 900 000. Nach dem Einzug der Kommunisten ging die Einwohnerzahl um 50 000 zurück. Heute dagegen hat das erweiterte Tsingtau ca. eine Million Einwohner. Deutsche leben kaum noch dort. Die kommunistischen Machthaber wiesen die nichtkommunistischen Fremden aus oder wurde ihnen der Aufenthalt in Tsingtau-China verleidet.
 

V. Teilnehmerliste

[Laut Programm vorgesehen, liegt jedoch nicht vor.]
 

VI. Rückblick

Das hier wiedergegebene Rundschreiben wurde im Mai 1965 aus Hoya, dem Wohnsitz von Fr. Schulte, versandt; die Vorlage stammt aus dem Nachlass von Georg Gerstadt.

Rückblick1]Seite 1]
Nürnberg 1964
[Bildunterschrift:] Dr. Müller-Yokota, von der japanischen Botschaft in Bonn, und Gemahlin berichten dem japanischen Fernsehen über unser Treffen in Nürnberg 1964.
––––––––––––––––
Ein Rückblick auf unser vergangenes Treffen!

Rückblick2[Seite 2]
Hoya, im Mai 1965

Liebe Tsingtau-Kameraden!

Zur 50jährigen Wiederkehr des Falles von Tsingtau hatte die Tsingtau-Kameradschaft zu einem Gedenktreffen im September 1964 nach Nürnberg eingeladen.
Der Einladung war eine erstaunlich große Anzahl ehemaliger Tsingtauer mit Angehörigen aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Berlin und Österreich gefolgt, selbst einzelne aus USA und Südtirol. Der mit über 400 Sitzplätzen ausgestattete Saal des dortigen Kulturvereins war dadurch völlig ausgelastet.
Erfreut waren wir alle über die wiederum in großer Anzahl erschienenen österreichischen Kameraden von der Kaiserin Elisabeth. Auch eine nicht geringe Zahl Frauen verstorbener Kameraden konnten wir begrüßen. Durch diese zahlreiche Beteiligung, der guten Vorbereitung und des ansprechenden Programms war es wieder ein schönes harmonisches Treffen mit betont kameradschaftlicher Aufgeschlossenheit aller Teilnehmer. Im Rahmen der Programmfolge hielt, nach der Begrüßung durch Kamerad von Tucher, Nürnberg, Kamerad Vize-Admiral a. D. Herbert Straehler eine Ansprache mit anschließender Ehrung der gefallenen und verstorbenen Kameraden.
Interessante Vorträge des Herrn Botschafters a. D. Ott, München, über »Ostasien von heute« und des Kameraden Konter-Admiral a. D. Behrend, Bayreuth, über »das heutige Tsingtau« fanden sehr aufmerksame Zuhörer. Als Vertreter der japanischen Botschaft sprach Dr. Müller, Yokota, über das Thema: »Deutsch-japanische Freundschaft«. Frau Müller, Yokota, dankte für die Verleihung der Bundesverdienstmedaille an Frau Takahashi, der langjährigen Betreuerin einer Grabstätte unserer in japanischer Kriegsgefangenschaft verstorbenen Kameraden.15
Der bekannte Singchor der Marine-Kameradschaft Bamberg erntete durch seine gut gelungenen Darbietungen an Seemanns-Liedern reichlichen und verdienten Beifall. Die Freibierspende des Kameraden von Tucher hob die bereits vorhandene gute Stimmung noch mehr. Es war spät, als die letzten die Stellung im Saal des Kulturvereins räumten.
Den Sonntagvormittag füllten Besichtigungen der Sehenswürdigkeiten Nürnbergs und ein Frühschoppen im historischen Mautkeller aus. Nachmittags versammelten sich die Kameraden, viele mit ihren Frauen, noch-

Rückblick3[Seite 3]
mals in den Gasträumen des Kulturvereins. Dabei wurden alte Bekanntschaften erneuert und nie versiegende Erinnerungen ausgetauscht. Mit dem Wunsche, im Jahre 1966 nochmals ein Tsingtau-Treffen abzuhalten, gingen die Teilnehmer auseinander.
Im Verlauf des Treffens wurden für die Betreuer der Kameradengräber in Tsingtau und Japan eine Spende gesammelt. Diese Aktion wurde auch noch nach dem Treffen fortgesetzt. Der Ertrag dieser Spendensammlung wurde mit je 200,– DM an Kamerad Bischof, Souchow (China) und an Frau Takahaski, Bando (Japan), überwiesen. Für Frau Takahaski spendete die Firma Diehl, Nürnberg, eine Zimmeruhr. Der Eingang dieser Spenden ist inzwischen von beiden Empfängern dankend bestätigt worden.
Das japanische Fernsehen drehte über den Verlauf des Treffens einen Film, der in Japan vorgeführt und uns nun zur Verfügung gestellt wurde. Beim nächsten Treffen könnte dieser Film gezeigt werden.
Die Urne mit der Asche von Exzellenz Frau Meyer-Waldeck wurde im Oktober 1964 in Heidelberg auf dem Grab ihres dort ruhenden Gatten, des letzten Gouverneurs des Kiautschou-Gebietes, beigesetzt. Als »Letzten Gruß« für unsere verehrte Gönnerin legte eine Abordnung dortiger Kameraden im Namen der Tsingtau-Kameradschaft einen Chrysanthemen-Strauß nieder.
Nun, liebe Kameraden, das Treffen in Nürnberg hat gezeigt, daß wir noch nicht die Segel streichen wollen. Für 1965 ist kein größeres Treffen vorgesehen. Nehmt aber mit bekannten Kameraden Verbindung auf und werbt für
unser Treffen 1966 in Frankfurt!
Kamerad Franz Kampmann, Frankfurt/Main-Süd 10, Stegstraße 71, hat sich mit dortigen Kameraden zusammengetan und schon gute Vorarbeit geleistet. Vorschläge zur Programmgestaltung werden gern entgegengenommen. Genauer Termin (September) und Programm wird jedem Kameraden rechtzeitig bekanntgegeben.
Wir wünschen Euch weiterhin gute Gesundheit, einen frohen Lebensabend und grüßen in kameradschaftlicher Verbundenheit!
Fr. Albrecht, Bad Salzuflen / Karl Beder, Cuxhaven-Döse / Eduard Leipold, Coburg / Karl Schmitz, Köln-Vingst / Fr. Schulte, Hoya

Rückblick4Seite 1
[Bildunterschrift:] Eine Wassertreterin bei ihrer Arbeit
Frohe Pfingsten 1965

 

Anmerkungen

1.  Seltsamerweise wird hier das erste große Treffen in Dissen 1936 nicht erwähnt.

2.  Dass einzelne »Tsingtau-Kämpfer« erst 1915, einige sogar erst 1916 aus Tsingtau in die Gefangenschaft geführt wurden, darf hier außer Acht gelassen werden.

3.  Wie auf Seite 3 unten angegeben, sind hier vor allem Rist und Tucher gemeint. Man kann insbesondere davon ausgehen, dass es ohne das großzügige Sponsoring von Tucher nicht zu diesem Treffen gekommen wäre.

4.  Siehe auch das Grußwort unter III. sowie den vorab erschienenen, ausführlichen Bericht von Eduard Leipold.

5.  Alle hier Genannten waren in japanischer Gefangenschaft.

6.  Dem Redakteur nicht bekannt, Verbindung zu Tsingtau unklar.

7.  Man erkennt hier, dass derzeit (1964) noch nicht das Lager Bando im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, vom der kommerziellen Verwertung von »Beethovens Neunter« ganz zu schweigen.

8.  Siehe nochmals den Bericht von Leipold.

9.  Die Vorgeschichte der Inbesitznahme Tsingtaus und die Abfolge der Ereignisse sind sehr verkürzt dargestellt; es wird sozusagen als bekannt vorausgesetzt, dass die Ausplünderung China bereits 1842 (Opiumkrieg – Hongkong!) begann.

10.  Die Eisenbahn wurde bereits 1904 in Betrieb genommen, als die Bauarbeiten in Tsingtau sich noch im Anfangsstadium befanden.

11.  Den letzten Satz würde man heute, 60 Jahre später, sicher nicht mehr so schreiben; er gibt aber vermutlich den damaligen Bewußtseinsstand wieder.

12.  Zur Richtigstellung siehe Taku.

13.  Das Ultimatum war natürlich nicht an den Gouverneur gerichtet, sondern an die Reichsregierung in Berlin, die auch die Entscheidung traf, nicht zu antworten.

14.  Richtig ist, dass die Chinesen. ebenso wie zuvor die Japaner bei der weiteren Stadtentwicklung auf das deutsche Erbe teilweise Rücksicht nahmen.

15.  Zur korrekten Schreibweise dieser Namen siehe Seite 1.
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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