Tsingtau und Japan 1914 bis 1920
Historisch-biographisches Projekt


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Im Lager Narashino

von Heinrich Hamm
 

Der erste Teil der Aufzeichnungen Hamms aus der Gefangenschaft endete mit der Fahrt ins neue Lager Narashino. Der vorliegende zweite Teil wurde vom Redakteur in vier Abschnitte unterteilt:

  1. September 1915 bis Neujahr 1916
  2. Juli 1916 bis Silvester 1917
  3. Januar 1918 bis März 1919
  4. ab Dezember 1919 (Heimreise)

Der unbekannten Person (Bearbeiter), die Hamms Aufzeichnungen in Maschinenschrift übertragen hat, sei herzlich gedankt! Schreibfehler (in Original oder Abschrift) wurden korrigiert, Abkürzungen aufgelöst, Anmerkungen vom Redakteur in [...] oder als Fußnoten hinzugesetzt.
 

[September 1915 bis Neujahr 1916]

9.9.15  Einrichten im Lager [Narashino], in der Küche ein großer Kessel mit Holzfeuerung, der aber schneller kocht als die Gasöfen in Tokyo. Die Soldaten können spazieren gehen, Freiübungen machen, Fußball spielen usw. Die Marine-Deckoffiziere hatten sich den Schlüssel zu Shinazakis1 Baderaum angeeignet, mußten aber auf Anordnung von Habu2 auch der Küche baden erlauben. Ich blieb in Shinazakis Bude und auch beim Küchen-Appell. Ich mußte viel dolmetschen. Im Gegensatz zu der Unterkunft in Tokyo habe ich hier angesichts der Landschaft ein viel größeres Verlangen nach Freiheit. Neben unserem Lager in alten Baracken liegt japanisches Militär.

13.9.15  Mit dem Zahlmeister3 besprechen wir zusammen mit den Köchen das Brotbacken, was jetzt hinzu kommt. Sauerteig aus Hopfenblüten und Kartoffelmehl und frischer Bierhefe angesetzt, gärt gut. Shinazaki hat Malaria und Fieber. Der Zahlmeister sagt, ich solle ihn vertreten. Heute kamen noch die Marine-Artilleristen von Fukuoka ins Lager, schwarz vom Staub beim Marschieren.4

Am 16.9.15 fand eine Besichtigung durch den General-Arzt statt, der vor allem auf gesundheitliche Bedingungen achtete.

16.-30.09.15  Beim Appell wollte mir Max5 die Küche übergeben, aber ich schob dies auf Colbow, der nur die Offiziersküche hat. Der Zahlmeister will ihn aber nicht mehr. Zwischendurch Englisch-Unterricht. Die Sänger sind auch wieder mobil und 54 Mann stark und üben im Baderaum, wo es sich gut singt. Von Herrn Holzberger/Yokohama6 eine Sammlung von Chorwerken erhalten. Von Karl Koch kam eine Karte, er ist Leutnant der Reserve.7
Es ist eine Kiste "Tomimura-Wein" angekommen, die ich Oberleutnant Leffler hinbrachte und gleich öffnete, ich selbst behielt 4 Flaschen 13er, Hauptmann Baacke und auch Kuhlo wollen mitprobieren. Sonst verlaufen die Tage mit den gewohnten Tätigkeiten, Dolmetschen, Sprachunterricht, übliche Zankereien, mal verschärfte Bedingungen, unter anderem Abwiegen der Rationen, was Arbeitsniederlegungen in der Küche zur Folge hat. Offiziere lassen sich Kuchen backen, weshalb Shinazaki vom Zahlmeister angeschnauzt wurde und es den Köchen verboten ist. Soldaten schütteten auch die gute Bohnensuppe weg, worüber die Köche – und auch ich – erbost waren. Von Schulz erfahre ich, daß die Japaner beim Umzug hierher das Tagebuch von Dr. Überschaar vereinnahmt hätten und eventuell alle Tagebücher wegnähmen. Ich will deshalb meines schnell in ein Geheimfach in Sicherheit bringen.

Am 7.10.15 holte Holch das Buch. Zwischendurch muß Holch mir das Buch für die laufenden Eintragungen holen.
Aus Zeitungsmeldungen hören wir, daß England wegen der Entwicklung des Krieges nervös wird und von Japan 250.000 Mann Hilfstruppen verlangt,8 was japanische Blätter jedoch ablehnen. Sie schreiben in spitzen Worten, die Alliierten sollten sich mehr anstrengen, es sei auch ungewiß, ob Schadenersatz geleistet würde.

15.-30.10.15  Dem Zahlmeister dolmetschte ich, daß die deutschen Köche, die ausgetauscht worden waren, selbst schlachten wollten. Es soll Geflügel gekauft werden, dazu müßten die erforderlichen Ställe gebaut, ja auch Schweinehaltung betrieben werden. Der Zahlmeister war mit allem einverstanden.

1.-12.11.15  Oberleutnant Habu erklärte nach einer Besichtigung, auf Anordnung von [Lagerkommandant] Saigo dürfe ich nicht weiter im Zimmer von Shinazaki schlafen, sondern bei den Köchen, was ich aber ablehnte und zur Korporalschaft zurück ging, wo ich mich bei Sergeant Neunert wieder anmeldete. Wenn ich wieder eine Bude allein erhielte, würde ich dolmetschen, andernfalls nicht, erklärte ich dem Zahlmeister.
Kuhlo gibt nach einem Vortrag von Dr. Überschaar bekannt, daß anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten der Oberstleutnant Saigo für 10 Tage beurlaubt sei. (Solange kann ich also keine Bude bekommen.)

Am 10.11.15 nachmittags war der große Platz für uns gesperrt. Alle japanischen Mannschaften angetreten, Front nach Südwesten, anscheinend Richtung Kyoto, wo die Krönungszeremonie stattfand.9 Punkt 15 Uhr: Stillgestanden. Der Hornist blies, alles nach Südwesten ausgerichtet, selbst die Posten an den Schilderhäusern beugten sich in die gleiche Richtung. Nach einigen Minuten Hornistenblasen wurde aufgerichtet und unter "Stillstehen" entnahm der älteste Offizier, Oberleutnant Harada, einem auf weißgedecktem Tisch stehenden Kistchen ein Dokument, das er vorlas. Dann ein dreifaches, laut geschrieenes "Banzai" in Richtung Kyoto, und wegtreten. Von Kuhlo hörten wir, daß Friedensverhandlungen im Gang seien.

16.-30.11.15  Sonntag. [Beim] Gottesdienst auf dem Fußballplatz predigt bei schönem Sonnenschein Fischer über das Thema: "Wir haben hier keine bleibende Statt, wir suchen eine zukünftige." Die Sänger singen: "Auferstehen", "Mag auch die Liebe weinen", "Wir Deutschen fürchten Gott". Shinazaki bat mich zu dolmetschen, wenn er übermorgen Furier geworden sei, worauf ich sagte: Nur wenn ich eine Bude bekomme! Die Deutsch-Asiatische Bank schrieb, daß der Rest von Wilhelms10 Konto, 41 Yen, abgesandt seien und damit das Konto erloschen wäre. Neben einem schönen Konzert gab's in der Nachbarbude Besäufnis, wo auch männliche Liebespärchen festgestellt worden seien, pfui! Herr Schulz beobachtet sehr gut.

1.-15.12.15  Im Lager ist nur noch von der Leitung Harada, Saigo und der Küchen-Unteroffizier, alle andern sind in Tokyo, wo die Kaiserparade stattfindet, sie kommen am 4.12. wieder zurück.
In der Küche bekamen Köche und Bäcker ihre Arbeitszulage, Colbow brachte mir für die Novembertage 16 Sen. In den Zeitungen schimpfen die Japaner, weil die Alliierten China in den Krieg ziehen wollen. Man liest auch wieder von Friedensmeldungen. Aber aus einer Rede vom Reichskanzler lesen wir, solange die Feinde davon faseln, Gebietsansprüche an Deutschland zu stellen, könne nicht an Frieden gedacht werden.
Colbow meint, ich solle wieder in die Küche kommen, aber solange ich keine Bude bekomme, habe ich keine Lust dazu.

24.12.15  Um 15 Uhr Besichtigung der weihnachtlich geschmückten Räume, 18-19 Uhr Gottesdienst, danach Bescherung. Ich erhielt: 1 Flasche Bier, 5 Äpfel, ca. 20 Nüsse, 2 Heringe, 1 Wurst, Marzipan, 1 Stück Seife und Zahnpulver und bei der Verlosung zu meiner Freude 1 Schachspiel. Am 2. Feiertag nach dem Frühstück mit Fischer spazieren gegangen, der dann den Gottesdienst hielt und der Chor dazu sang. Nachmittags ein Trio-Konzert: Klavier, Violine, Cello, bei dem auch japanische Offiziere anwesend waren. Fischer zum Unteroffizier befördert.11
Während des Essens las uns Habu vor, daß der Matrose/Artillerist Kuschke12 entlassen sei, ohne Angaben von Gründen. Er ist ein Elsässer, der sich bereits in Fukuoka in die französischen Armee meldete. Die französische Regierung hatte sich seinerzeit deshalb an Japan gewandt.

1.1.16  Bs muß eine schlimme Sylvesternacht gewesen sein, denn ich konnte mich mit einem schmerzenden Kopf, der zu zerspringen drohte, an nichts mehr erinnern.

[Einfügung des Bearbeiters: Ab hier fehlen Tagebuchaufzeichnungen von 1916 bis 7.9.1916, vermutlich wegen des Einerleis im Tagesablauf, oder sie sind verschollen.]
 

[Juli 1916 bis Silvester 1917]

7.9.-30.9.16  Der Alltag verläuft mit den üblichen Tätigkeiten der Versorgung, Sprachübungen, Gitarrenspiel. Dazu die sich widersprechenden Kriegsmeldungen, je nachdem, aus welcher Presse sie stammen. Die Reaktionen sind ebenso widersprüchlich.
Zwei Kameraden haben ihre neuen Gitarren fertig, wunderbarer Klang, ich selbst habe mir einen anderen Saitenhalter auf meine Gitarre gemacht.

Bis 10.10.16  Wir müssen unsere Personalien neu aufschreiben, weil angeblich bei einem Brand im Auskunftsbüro in Tokyo die alten verloren gingen.

15.10. bis 7.11.1916  Saigo hat verboten, daß Nachrichten vorgelesen werden, es sollen auch demnächst keine Zeitungen mehr ins Lager kommen. Aus Fukuoka sollen 69 Mann ins Lager hinzu kommen.13

7.11.16  In Erinnerung an diesen Tag vor 2 Jahren in Tsingtau und jetzt zweijähriger Gefangenschaft haben wir den Gedanken an ein baldiges Kriegsende aufgegeben und wenden uns noch mehr dem Sprachunterricht und anderen nützlichen Gebieten zu. Die Briefpost mit der Heimat funktioniert noch immer, außer Elsheimer Nachrichten eine Karte von Philipp14, der jetzt wieder in einem anderen Gefangenenlager ist.

11.-31.12  Heute habe ich meine Rentabilitätsberechnung für 1 ha fertig gestellt und in mein Weinbauheft eingeschrieben. Wilhelms Paket und Preislisten kamen an.

24.12.16  Der Weihnachtsgottesdienst fand zwischen unserer Baracke und Jaguar15 statt, ich hörte vom Fenster aus zu. Fischer predigte und Kuhlo sprach noch über Frieden, jeder möge sich Rechenschaft ablegen über das, was er in der Gefangenschaft getrieben und gelernt habe. Am Abend feierten wir in der Bude von Sergeant Neunert, aßen einen köstlichen Weihnachtsbraten, den Jahn geliefert hatte. Es wurde lange politisiert, und wir saßen bis nach Mitternacht gemütlich beisammen. Im Lager viel Betrunkene. Am 1. Weihnachtstag fand ein Konzert statt, das von den aus Fukuoka hinzu gekommenen Männern, Virtuosen wie Millies/Schanghai, Wostmann, dazu Wälder und anderen ausgeführt wurde. Ich habe bisher derart hinreißende Violin-Musik niemals gehört, wie sie Millies darbot.

31.12.16  Unter allgemeinem Jubel kam abends nach mehreren ungünstigen Befehlen ein solcher: Keine Sperrstunde! So verging die Nacht mit Gratulationsrunden durchs ganze Lager bis zum Frühstück, dann ein einstündiger Spaziergang und ausschlafen.

1.1.-15.1.17  Das neue Jahr begann mit dem üblichen Besäufnis und den Querelen. Draußen stürmte es so sehr, daß selbst einige Schilderhäuschen umgerissen wurden.
Ein neuer, junger japanischer Offizier glaubte an uns seine Aggressionen auslassen zu können, er ließ unter anderem 2 Leute verhaften, die ihn nicht grüßten, und übte mit den Posten das Fesseln mit Seilen. Möller erzählte, daß er mit einem Kameraden beim Spaziergang festgenommen worden sei und auf der Wache mit den Händen auf dem Rücken gefesselt wurde, wobei der Strick um den Hals geführt wurde. Die Beschwerde hörte sich Oberstleutnant Saigo erst gar nicht an, weil Feiertag sei. Zwei Tage später wurden die beiden wieder zu Saigo bestellt, der ihnen ihre Unschuld mitteilte und eine Bestrafung des Postens ansagte.
Wir frieren, es sind keine Kohlen da. Die Marine-Offiziere bezahlen jeder Korporalschaft 1 Eimer Kohlen, und jetzt machen auch unsere Leute den Vorschlag, Kohlen zu kaufen, jeder gab 1 Sen, wofür sie einige Eimer kauften. Ich halte das für falsch, weil uns die Japaner vielleicht gar keine Kohlen mehr liefern.

24.-31.1.17  In der Küche findet endlich ein Wechsel statt, und es ist an der Zeit, daß vernünftige Leute dort hin kommen.
Ich machte mir einen schönen Tag, baute meine Gitarre ab, machte den Saitenhalter niedriger und nahm das Griffbrett etwas ab. Ich spannte dann die Saiten wieder auf und war von dem wunderbaren Klang freudig überrascht; er ist feiner und schwingt lange nach.

27.1.17  Kaisers Geburtstag: Die Japaner erlauben Gottesdienst nur dann, wenn keine (politischen) patriotischen Feiern entstehen. Fischer predigte ohne Hand und Fuß, ohne Zusammenhang, quatschte von Jesus über alles in der Welt, darüber hinaus wurde keine Feier genehmigt.

28.1.17  Sonntagvormittag feine Quartett-Musik von Reservisten-Maat Millies und anderen. Beim Spaziergang mit Holch gab's Krumpel mit dem Wachoffizier, weil wir ihn beim Begegnen zwar gegrüßt hatten, kurz darauf mit den Händen in den Taschen den Gruß aber nicht wiederholt hatten. Er brüllte uns an und wollte uns zur Wache schaffen. Ich sagte ihm auf Japanisch "watakushi muko de Kimashita", er errötete verlegen.16

31.1.17  Heute kamen Kohlen, 6 japanische Pfund pro Ofen und Tag. Wenig.

1.-15.2.17  Es war Besichtigung eines Generalmajors des Kriegsministeriums angesagt. Dabei kam es zu einem Disput mit Saigo, der aber überspielt wurde. Man hatte den Eindruck, als wolle man uns von japanischer Seite gut behandeln, und nur den unteren Chargen und Lagerleitung die Schikanen, vor allem Oberleutnant Harada, in die Schuhe schieben.

15.-28.2.17  Brief von Wilhelm vom 27.12.16!! Stärkere Erkältung, dabei 1,5 kg Gewicht [verloren]. Pfarrer Schroeder hielt heute die Predigt und sprach über stilles Heldentum. Da kann sich Fischer ein Muster abgucken.

1.-31.3.17  Ich mußte mit zum Schlachthof, 1/4 Stunde Fußmarsch bis zum Ort Kuruma, wo uns im städtischen Schlachthof eine Kuh gebracht und gleich geschlachtet wurde.
Im Lager eifrig an der Gitarre gearbeitet, schleifen und beizen, auch am Sonntag den ganzen Tag, denn bis zum 12. muß sie klingen. Am 13. ist "Hessen-Feier" zum 25-jährigen Regierungsjubiläum des Großherzogs. Das wurde dann eine gemütliche Feier mit Gesang, Musik und Reden bis 2 Uhr nachts.
Mich hatte wieder eine große Sehnsucht nach Freiheit erfasst, freiem Wirken in der Heimat, wo die jungen Moselrieslingfelder dieses Jahr in Ertrag kommen, während man hier wer weiß wie lange noch herumsitzt.

8.4.17 Ostern.  Gerangel zwischen dem Zahlmeister und Schäfer, Wälder war auch noch dabei, um die Bezahlung eines Schilderhauses aus dem Winter 1915/16, wobei Schäfer überlistet worden sein soll und bezahlen muß. Es wird nicht teuer, aber weil es dann ja sein Eigentum wird, wird er es auch schwarz/weiß/rot anstreichen, um die Japaner zu ärgern.
Ostern. Windiger Tag. Beim Zahlmeister 1 Flasche Sake erstanden, später noch eine, die ich mit Schäfer und Wälder gekitscht habe, und nur ein schönes Konzert mit dem Doppelquartett Wälder verschönte uns den Ostertag, wenn auch die zum Quartett hinzu gekommenen Instrumente von den Spielern nicht so gut beherrscht wurden. Der Montag verlief – mit Ausnahme von einem Fußballspiel – im gewohnten Gleichmaß.

Am 13.4.17 kam das vom Lager beantragte Geld endlich zur Auszahlung, aber sogleich brach brach eine Revolte aus: Die Feldwebel und Deckoffiziere sollen den vollen Betrag, die Unteroffiziere und Mannschaften jedoch nur in Teilraten erhalten. In allen Baracken wird dagegen heftig protestiert, man will sich solche Bevormundung durch Kuhlo nicht gefallen lassen. Weil wegen der Löhnung zwischen Mannschaften und Offizieren keine Einigung zustande kommt, ist überall große Schimpferei im Gang. Die Offiziere von Jaguar verlangen ihre Lehrbücher und Notenhefte zurück und geben auch keinen Unterricht mehr.
Die zweite Korporalschaft begann damit, die Liste zu unterschreiben und zwar für die ganze Monatslöhnung, ohne jedoch auch nur 1 Sen zu erhalten, haarsträubend! Feldwebel Wünsche kam und berichtete, daß vom Tsingtau-Unterstützungsfond monatlich 1,5 Yen an Mannschaften und 5 Yen an Offiziere ausgezahlt werden. Es müsse die ganze Monatszahlung quittiert werden, aber weil Leute da seien, die nicht mit Geld umgehen könnten, hätte Saigo mit Kuhlo verfügt, daß in Raten ausgezahlt würde an Mannschaften und Unteroffiziere. Abends kam Hauptmann Baacke, um die Namenslisten einzusammeln, sie waren jedoch leer.17
Er kam am Abend nochmals und bot 3 Yen pro Mann. Doch wir sind ja keine Juden, und das wollen deutsche Offiziere sein?

16.4.-25.4.17  Als Sergeant Kaidies Druck machte und ausrief, in 5 Minuten würden die Listen eingesammelt, drängte sich die 4. Korporalschaft heran bis auf 4 Mann und unterschrieb. Die dritte Korporalschaft ist die einzige, die noch nicht unterschrieben hat. Ich werde es nur tun, wenn ich Garantie über den Gesamtbetrag habe. Was denken sich die nur? Aus Patriotismus opfert man die Stellung und hat es dann mit solchen Leuten zu tun.

17.4.17  Die Streitereien um die Löhnung gehen weiter. Widersprüchliche Parolen: Einmal heißt es, es handele sich um "Liebesgaben", aber neulich mußten wir unterschreiben, daß das Geld nach dem Krieg zurück zu erstatten sei, weil Monatslöhnung!! Die Leute sollten auch bedenken, daß sie bald wieder unter die militärische Fuchtel kämen!! In dieser Weise kam so recht der hochfahrende Junkerton zum Ausdruck. Bis auf wenige Leute und uns 4 Reservisten haben die Aktiven alle unterschrieben.

21.4.17  Heute war mal wieder Besichtigung. Vorneweg ging Saigo in voller Uniform und Orden, ein normal gekleideter Kadett dahinter, es muß wohl ein Prinz gewesen sein, denn alle japanischen Offiziere sprachen ehrfurchtsvoll mit ihm. Später kam ein Oberst vom Generalstab im Auto, der die Besichtigung abhielt.

22.4.17  Der kleine japanische Zahlmeister kam, um die Gitarren abzuholen und herauszufinden, welche am schönsten klinge. Wälder wurde hinzu gerufen und war erstaunt über den Wohlklang der Instrumente, er konstatierte, daß tatsächlich des Zahlmeisters Gitarre die beste sei. Hinzu kamen noch Violinen, und bald war, von der Musik angelockt, unsere Bude voll.

12.-30.5.17  Riegow wurde zu Baacke bestellt, der ihm mitteilte, daß wir 4 Landwehrleute vom O.M.D. das beantragte Geld nicht erhielten, weil wir nicht hilfsbedürftig wären, das Geld sei ja "Liebesgabe". Riegow will geantwortet haben, es sei doch undenkbar, daß auf der anderen Seite die Reserve-Feldwebel und Offiziere offenbar hilfsbedürftig seien; denn sie bekämen ihren Lohn ausgezahlt. Baacke sei hoch gewesen und hätte ihn angeschrieen, verächtlich von den Herren aus Ostasien zu sprechen. Ich weiß nicht, hat die Gefangenschaft auf meinen Geist oder den des Hauptmanns Baacke einen schädlichen Einfluß ausgeübt?

27.5.17  Pfingsten. Den ganzen Tag über starker Sand- und Staubwind. Es wird viel darüber gesprochen, wie immer häufiger "Liebespärchen" in den Ecken stehen, es aber auch zunehmend öffentlicher treiben, eine Schweinerei. Nachmittags Abmarsch zum Friedhof, wo Wälder 20 Sänger zusammentrommelte, wir sangen "Der Barde". Auf dem Rückweg ein Umweg durchs Gelände, an einem Dorf vorbei mit lachenden Frauen und Mädchen. Im Lager angekommen, mußten wir feststellen, daß die Herren Gartenbesitzer in der Zwischenzeit das ganze Brunnenwasser verbraucht hatten. Unverschämtheit!

5.6.17  Wälder hat eine neue Idee: Er will nicht mehr das Chorsingen leiten und statt dessen mit mir 2-stimmig mit Gitarrenbegleitung einüben; ich glaube das wird fein.

7.7.-15.7.17  Auf dem Weg zum Arbeitsdienst macht der deutschfreundliche Offizier längere Umwege als Spaziergänge, denen sich immer mehr Leute anschließen. Unterwegs kann sogar Bier und Limo gekauft werden. Ob da Politik dahinter steckt ist schwer auszumachen. Immerzu böse Sandstürme!

11.7.17  Heute erscheint Uematsu zu dem seit längerem angekündigten Besuch. Wir trafen uns im Empfangszimmer, Oberleutnant Harada war ebenfalls zugegen. Uematsu sieht gut aus, er hat jetzt einen Schnurrbart und meint seinerseits, ich sei etwas dicker geworden. Er erzählt, Herr Yamagata, ein Enkel des I. Genro (Tenno), der mit ihm Deutsch gelernt hätte und kürzlich bei ihm zu Besuch war, hätte ihn darum gebeten, bei mir nachzuhören, wie meine Weinbauverhältnisse in der Heimat wären und ob ich Wein im Großen liefern könne. An Stelle der jetzt üblichen französischen Weine solle deutscher Wein in die höheren japanischen Kreise eingeführt werden. Ich sagte ihm zu, die anstehende Weinmenge von ca. 30-60.000 Litern jährlich liefern zu können, vorausgesetzt, daß Japan wegen des Wirtschaftskrieges nach Friedensschluß den deutschen Import zulasse.
In Yokohama will Uematsu ein Weingeschäft aufmachen, in welches Yamagata sein Kapital einbringt. Ich verspreche ihm, mein Möglichstes zu tun. Von Koyama und dessen Gut wußte Uematsu nichts.
Yamagata kehrte 2 Tage vor Kriegsausbruch über Holland von seinem Studium in Deutschland weg nach Japan zurück. Uematsu meinte, daß noch in diesem Jahr der Friede käme. England und Frankreich würden aus Ernährungsgründen zuerst abklappen. Nun steht für mich schon fest, daß ich nach Friedensschluß nach Hause gehe. Uematsu hatte mir 2 Dosen Airship-Zigaretten und 1/2 Dutzend Taschentücher mitgebracht.

12.07.17  Der Zahlmeister ließ mich rufen und bat, die nächsten 4 Tage zur Arbeit mitzugehen und zu dolmetschen, auch solle ich 2- bis 5-mal wöchentlich Deutschunterricht geben. Ich versprach nur, die 4 Tage zur Arbeit mitzugehen. In der Küche gab's mal wieder Streit um ausgeliefertes schlechtes Fleisch. Der Stabsarzt befand es gut, die Lauge [?] schlecht. Nach Widerstand in der Küche und Strafandrohung im Weigerungsfall mußte das Fleisch verarbeitet werden. Fast niemand von uns aß von dem stinkenden Gulasch, und auch abends enthielt das Essen noch von dem voller Maden und stinkenden Fleisch. Der Zahlmeister meinte im Gespräch mit mir, am besten würde bei der Küche ein Eiskeller gebaut.

25.-30.7.  Man hört, daß als Nachfolger von Harada ein Oberleutnant Tanaka vom 3. Regiment käme, der ist ein Verwandter von Koyama, war im vergangenen Jahr schon einmal hier und hatte mich dabei ins Büro rufen lassen.

26.07.17  Heute erhielt ich einen Brief von Uematsu, in dem er schreibt, er wolle mir Herrn Yamakata vorstellen und hoffe, daß bezüglich Wein ein Kontrakt abgeschlossen würde.

29.7.17  An der Gitarre mit Baron18 zusammen die Bund-Abstände am Griffbrett umgerechnet. Auf den bisherigen Griffbrettern sind die Abstände ungleichmäßig. Da aber die natürlichen Töne in genauen Abständen sind, muß die Gitarre regelmäßig steigende Bundabstände haben. Ich schrieb noch einen Brief an Uematsu.

13.-31.08.17  Heute kam das Holz für die bestellten Gitarren, welches wir für Zargen auseinander trennten. Ebenholz für Gitarrenbretter und Saitenhalter = 180 Yen. Wir arbeiten fest am Gitarrenholz, Wälder kam und wir probten sein Griffbrett, welches auch stimmt. Dann sägten wir das letzte Holz für die Böden auseinander, sie werden tadellos. Wälder kam und wir losten aus, er bekam den besten Hals und Zargen.

Vom 22.8. kam Nachricht von Uematsu, er sei von der Gendarmerie in meiner Sache betreffs Wein vernommen worden.

26.8.17  Mein Geburtstag: In der Nacht lag ich lange wach und dachte über alles nach, wobei ich zu der Überzeugung kam, am besten den Dingen ihren Lauf zu lassen. Ich wurde zu dem neuen Oberleutnant Tanaka bestellt. Er ist tatsächlich ein Verwandter von Koyama, richtete viele Grüße aus und berichtete, das Gut sei vergrößert. Ich erwiderte die Grüße. Am Abend feierten wir in der Küche meinen Geburtstag, Wälder/Wostmann, Rehardt19 spielten fein, Tanaka trank auch 1 Flasche Bier mit und hörte zum erstenmal Violine, was ihn sehr erfreute. Er sang auch die ihm bekannten Lieder mit wie "Ich hatt' einen Kameraden" und "Es braust ein Ruf wie Donnerhall".

28.-30.8.17  Mit Bonin bin ich in diesen Tagen damit beschäftigt, das Gitarrenholz weiter zuzurichten, d.h. Gitarrenhälse auszusägen, Deckel abzuhobeln; unter anderem stellten wir einen Hobel her, Hobeleisen hatten wir uns bestellt. Auch Stimmbalken leimte ich auf meinen Gitarrendeckel.

6.9.17  Wir haben die Gitarren soweit fertig bis aufs Saiten aufziehen, was ich dann auch schaffte. Die Gitarre klingt nun besser.

14.9.17  Jetzt ist der Bau der Winterlauben fest im Gang mit dicken Brettern und Strohdächern!

18.9.17  Oberleutnant Tanaka übersetzt mir einen Brief von Koyama und fragt mich, ob ich die langjährige Gefangenschaft dazu benutze, mich auf die Nachkriegszeit vorzubereiten?!

20.9.17  Große Wanzenvernichtungsaktion! Mir tun die Viecher ja nichts, aber sonst klagen die Leute sehr. Die Bude wird ausgeräumt, die Desinfektion mit heißem Wasser vorbereitet, und beim Lösen der Latten an den Wänden entdecken wir die Wanzen zu Tausenden, die wir mit Seife und Petroleumlösung bekämpfen.

1.10.17  Starker Sturm, der Regen peitschte durchs Fensterloch, das mit Papier provisorisch verklebt war, der Taifun war so stark, daß einzelne Leute schon ihre Sachen packten aus Furcht, die Baracke könnte umstürzen. Man konnte meinen, der Jüngste Tag sei angebrochen.

01.-10.10.17  Als ich am Morgen zum Waschen ging, erschrak ich beim Anblick draußen: Die 12-15 Lauben waren alle bis auf 2 umgestürzt, von den Pferdedächern [Pferdeställen?] die Blechdächer weggeweht und die Ställe eingebrochen wie Kartenhäuser; die teuren Winterlauben der Offiziere auch eingestürzt, man konnte auch sehen, daß Häuser in der Nähe eingestürzt waren und durch das Unwetter schlimme Schäden verursacht worden waren. Vor allem wird die Reisernte sehr dezimiert worden sein. Die Luft war heute noch ganz scharf, und an den Lippen schmeckte man die salzige Seeluft. Eine Salzschicht überzog die noch vorhandenen Abortfenster. Die Bahn von Tokyo hierher unterbrochen, und es soll viele Tote gegeben haben.
Heute war Singen unseres Chores mit Orchester unter Leitung von Herrn Millies, wobei Wälder Cello spielte. Ich glaube, das wird gut, denn Millies besitzt mehr Autorität und ist viel feinfühliger.

2.10.17  Man sieht an den Gewächsen, daß der gestrige Schaden größer ist als zunächst angenommen, es sollen viele Menschen umgekommen sein und auch viele Schiffe an Land gespült worden sein. Ganz Japan muß von dem Taifun heimgesucht worden sein, vom Süden kommend über Osaka, Nagoya, Yamanashi bis Hokkaido, in Tokyo, Fukagawa und Asakusa vieles unter Wasser, alle telegraphischen und Bahnverbindungen unterbrochen. Die Laubbäume und Blattgewächse sind heute noch dürr, dazu kein elektrisches Licht.

4.10.17  Heute bog ich die Zargen meiner neuen Gitarre, ein schönes Andenken für mein Liebes, sie hat heute ihren 30. Geburtstag. Was wird sie denken? Ich bin durch das lange Leben in der Fremde ziemlich kalt geworden.

5.-10.17  Mit Riegow wieder japanisch gelernt, ebenso am 6.10. Weitere Berichte über den Taifun: Er ist hauptsächlich über die Ostküste gefegt, und unsere Provinz hat den größten Schaden davongetragen. Unter anderem tummelten sich 5 Walfische in den überschwemmten Reisfeldern und wurden von den Bauern gefangen, jeder über 20 Fuß lang. In Tokyo über 200.000 Säcke Reis aufgequollen, 2.000 Fischer- und andere Boote zerstört, die Fischer arbeitslos.

10.10.17  Unterhaltung mit dem japanischen Wachoffizier über das Ende des europäischen Krieges. Es folge dann der zwischen Japan und Amerika und dann wird Japan die Philippinen, Hawaii, Honolulu und San Franzisko nehmen und weiter ostwärts marschieren. Er ist voll des Lobes über Deutschland.

14.10.17  Heute machte ich der Korporalschaft einen Vorschlag, wie zukünftig die tägliche Versorgung des Wasser-Bassins durch Pumpdienst am Brunnen zweckmäßiger auf alle verteilt werden kann. Alle waren damit einverstanden, und er hat sich auch gut bewährt.

23.10.17  Eifrige Arbeit an der Gitarre, sie soll noch diese Woche fertig werden, dann soll eine Vorführung der Instrumente folgen, wenn Oberst Saigo von seiner Krankheit geheilt wieder zurück kommt.

24.10.17  Von Uematsu kam ein Brief mit der Nachricht, daß Yamagata die Weinbaufrage zu spekulativ sei.
Ein anderer Japaner mit 80 ha Land, ein Berghang in Chiba, will eventuell das Gelände für den Weinbau nutzen und wünscht Auskunft über meine Gehaltsansprüche oder die eines anderen Fachmannes, dazu eine Rentabilitätsberechnung für Weinbau und Weinlagerung.

31.10.17  Aus Anlaß der 400-jährigen Gedenkfeier der Reformation waren schon länger Vorbereitungen getroffen in Bezug auf Instrumentalmusik, Chor und Vorträge. Nach dem Essen um 16 Uhr begann um 18 Uhr mit dem Erscheinen von Oberleutnant Tanaka und Oberstleutnant Kuhlo das Programm mit Luthers "Ein feste Burg ist unser Gott" für Streichorchester und Chor und Harmonium. Es folgte ein Vortrag von Dr. Überschaar und anschließend ein solcher von Millies über die Entstehung der Orchester-Musik, von Händel ins Leben gerufen. Danach noch einige sehr gute Konzertstücke, als Abschluß die 5. Sinfonie von Beethoven.

Der November verlief im gewohnten Trott: Unterricht, Musik, Feinarbeit an meiner Gitarre, sie klingt wunderbar.

Auch der Dezember, einschließlich Weihnachten brachte nichts von Belang, es sei denn das Bekanntwerden von Jaguar, daß einem Leutnant die ganze Bude samt Klavier, Cello, 2 Gitarren, 1 Hund + Kanarienvogel restlos niedergebrannt sei.20 Eine andere Neuigkeit besagte, daß der kleine Oberleutnant Kawamura im Heizraum eine Saufgesellschaft ausgehoben hätte, darunter seine Freunde Baltes und andere, und sie, wie sie waren, ohne Kopfbedeckung in Holzschuhen direkt in Arrest gebracht hätte, wohin ihnen am nächsten Morgen warme Wäsche nachgebracht worden wäre. Baldes würde immer noch auf die Japaner schimpfen.

31.12.17  Neben anderem Sprachunterricht übte ich ja auch weiter japanische Schriftsprache und japanische Vokabeln schreiben. Der Tag verlief ruhig und gegen Mitternacht liefen etliche Gruppen gratulierend durch, alle in der festen Überzeugung, daß dies das letzte Kriegsgefangenen-Neujahr sei.
Es ist verwunderlich, daß wir immer noch einen Hoffnungsschimmer in uns wach halten und uns auf ein Leben nach dem Krieg vorbereiten und nicht aufgeben.
 

[Januar 1918 bis März 1919]

Januar 18  Russland friedensbereit!! Es sind Vorbereitungen im Gang zum Austausch von Zivil-und Kriegsgefangenen, deutsche Schiffe liegen bereit, sofort den Verkehr aufzunehmen. England scheint zum Frieden geneigt, Lloyd George reist zu Clemenceau nach Paris, um die deutschen Friedensvorschläge in Betracht zu ziehen. Amerika ist jedoch so mit Kriegsvorbereitungen beschäftigt, daß es nicht an Frieden denkt. (Frankreich verlangt Elsaß-Lothringen.) Widersprechende Meldungen aus Russland.

Am 7.1.18 sind unsere Vorschläge den Alliierten durch Russland übergeben. Falls die Alliierten sich nicht anschließen, erfolgt am 8.1.18 Separatfrieden Deutschland/Russland.

11.01.18  Ich soll mit dem Zahlmeister in einigen Tagen nach Tokyo, wo Schafe geschlachtet werden sollen. Wir hören dann, daß demnächst ca. 300 Soldaten und 50 Offiziere hierher kommen und deshalb neben dem Lager weitere Baracken gebaut werden.21
Wälder hat jetzt über seinen bisherigen Musikunterricht eine schriftliche Arbeit machen lassen, dazu Harmonie-Lehre und anderes.

15.1.18  Abmarsch zum Zug nach Tokyo zum Hammelschlachten. Der Zahlmeister per Rad, ich mit Jahn zu Fuß und einem Posten, der sich anstrengen mußte, um Schritt zu halten. Am Bahnhof spendierte der Zahlmeister Jahn und mir 1 Flasche Wein, die er im Laden beim Fahrrad unterstellen bestellt hatte. Als er aber dann im Abteil bei uns nachsah, fiel er beinahe vor Schreck um, so roch es bei uns nach Sake [...] und ich dabei schnell mein Glas leer trank. Der Verkäufer hatte uns irrtümlich statt des einfachen, billigen Weines eine Flasche Sake gegeben!! Der Zahlmeister verlangte, daß wir die Flasche kaputt schlagen sollten, willigte aber auf unser Versprechen ein, ganz sparsam zu trinken und nicht betrunken in Tokyo anzukommen. In der elektrischen Bahn beglotzten uns alle auf dem Weg zum Verpflegungsamt, und dabei ist es mir nach 3 Jahren zum erstenmal widerfahren, daß ich mit einem Mädchen zusammenstieß, ohne jedoch im geringsten aufgeregt zu werden. So ist man abgestumpft!
Jahn schlachtete im Amt 2 Hammel, danach bekamen wir zu unserem mitgebrachten Brot noch japanisches garniertes Beefsteak mit Zwiebelsalat und tranken unseren Sake. Die anwesenden Mädchen schauten uns verliebt an und verbeugten sich mehrmals bis zum Boden. Es war eine schöne Abwechselung.
Im Lager herrscht eine rege Gitarren-Euphorie, der Zupfgeigenhansel hat Hochkonjunktur. Viele Soldaten haben jetzt "Influenza" (Grippe).

27.1.18  Kaisers Geburtstag. Im Gottesdienst predigt Herr Spohr an Hand von Beispielen aus der Geschichte, daß der Starke die Schwachen regieren müsse, also wir Deutschen ebenso wie die Alliierten das Recht und die Pflicht hätten, zu annektieren und Kolonien zu erschließen! Mit Liedern des Quartetts endete der Gottesdienst.

4.2.18  Zu meiner Überraschung erhielt ich heute von Herrn Geiger aus Shanghai 100 Yen!
Beim Gitarrenunterricht die Etüden aus der Wobersin-Schule gespielt, sie müssen mit den Kadenzen bis zum nächstenmal auswendig gehen. Durch Dr. Überschaar die Nachricht, daß Nowak im Lazarett gestorben sei. Darob große Traurigkeit, die Leute waren sprachlos, denn jeder weiß, daß Novak durch Nachlässigkeit und Rohheit, besonders des Lagerarztes, ins Jenseits wandern mußte. Oberleutnant Kawamura bestimmte, daß unser Korporal und 4 nahe Freunde Totenwache im Lazarett hielten. Es will mir nicht in den Kopf, daß dieser forsche Novak so sterben mußte. Drei Tage verlangte Novak Oberstleutnant Kuhlo zu sprechen, aber dieser wußte von nichts. Angeblich war auch gestern den ganzen Tag kein Arzt zu finden, aber der Arzt vom Dienst sagte zu Überschaar, seit 15 Uhr sei er im Lazarett gewesen. Novak muß schmal und ausgetrocknet wie ein 10-jähriger Junge ausgesehen haben. Der körperliche Zustand des Verstorbenen war nach Aussage der Männer, die ihn einsargen mußten, so schrecklich – der Eiter muß überall herausgedrungen sein –, daß sich Kawakuro im Lazarett bittere Vorwürfe und Wahrheiten über Novaks Märtyrertod anhören mußte.

5.-20.3.18  So geschah dem Paul Stephan von Kompanie 1 auch eine Ungehörigkeit: Als er etwas verspätet zum Dienst kam, wischte ihm Oberleutnant Tanaka eine aus, daß er beinahe umfiel. Alles war erbost über dieses Verhalten einem wehrlosen Gefangenen gegenüber. Ach, wären wir doch endlich frei.

6.3.18   Nach langem Hin und her ist japanischen Meldungen zufolge der Separatfrieden mit Russland unterzeichnet worden, und die japanischen Zeitungen vertreten verschiedene Meinungen darüber, ob Japan gegen Rußland militärisch vorgehen soll.
Es zirkuliert das Gerücht, von der Nationalspende22 seien 2 mal 2.400 Mark hierher überwiesen worden und Oberstleutnant Kuhlo habe das Geld im Besitz. Dies wurde widerrufen, nur hätte Oberleutnant Kahler 750 Yen erhalten.

13.3.18  Von Siemens-Schuckert erhielt ich ein Paket mit 5 Pfund Kaffee und 3 Pfund Tee geschickt.
Als von Jaguar Beschwerden über mangelhaftes Essen und daherrührende Krankheiten wegen Unterernährung vorgetragen wurden, erklärte der Stabsarzt, die Deutschen versenkten so viele Schiffe, und es sei eine Gottesstrafe, wenn die hiesigen Deutschen darunter leiden müßten.
Einer angesagten japanischen Expedition nach Sibirien, die von den Franzosen angetrieben wird, stehen die Amerikaner anscheinend kalt gegenüber, während England ziemlich neutral ist.

20.3.18  Aus Yokohama war Besuch gekommen, Holzberger und Frau. Sie berichteten, daß die "Neutralen", Schweizer und Holländer, aus dem "Deutschen Klub" ausgetreten seien und, von den Alliierten bedrängt, ins Ententelager übergewechselt wären.

25.03.18  Die Fukuoka-Gefangenen kamen heute an: Meyer-Waldeck und noch 2 Herren fuhren mit der Rikschah, die übrigen alle zu Fuß. Saigo begrüßte den Gouverneur persönlich, und als dieser sich an der Spitze seiner Leute nach dem Lager in Bewegung setzte, sprang der Bootsmann Rasmussen vor die Front und brachte Mütze schwenkend ein dreifaches Hurra auf Seine Exzellenz aus, der flüchtig dankend weitermarschierte. Unsere Leute drängten vor und es gab ein Händeschütteln mit alten Bekannten, was der den Transport führende japanische Offizier nicht zugab und mit anderen Japanern auf unsere Leute einschlug. Es wurde nach dem Appell solange getagt, bis im Lager Bier und Wein alle war.

27.3.18  Heute kamen von Koyama aus Tokyo 2 Kisten, enthaltend 16 Flaschen Medoc und 6 Flaschen Jamaika-Rum. Es stellte sich heraus, daß dies mit den 2 Flaschen neulich die Weihnachtssendung von Siemens-Schuckert an mich ist.
Meldungen besagen, daß seit dem 26.3. Paris aus der 70 Meilen entfernten Schlachtfront alle 14 Minuten mit 1 Schuß von einem weittragenden 24-cm-Geschütz beschossen wird und man in Paris sprachlos ist.

31.3.18  Ostern. Mit Holch trank ich nach dem Gottesdienst 2 Flaschen Rüdesheimer, die sich ebenso schön gemacht haben wie neulich der Bernkasteler; später kam noch Wälder hinzu, und nach dem Essen tranken wir auch noch die anderen Bernkasteler. Man fühlt sich wieder mal in anderer Stimmung, wenn auch nicht so wie zu Hause beim Wein.
Nach dem Abend-Appell war bei Jaguar großes Konzert. Kapitänleutnant von Bechtolsheim, genannt zu Mauchenheim, drängt Wälder, wieder einen Gesangverein zu bilden, er will selbst mitsingen. Wälder will mich in den 2. Tenor haben.

1.4.18  Mit Holch langen Spaziergang gemacht. In der Kantine spielte das Streichquartett, wir lauschten draußen und labten uns an den Quartetten von Beethoven und Haydn.
Heute Abend war Theatervorstellung: "Johannisfeuer" von Sudermann.

10.4.18  Wälder probte mit 16 Mann im Baderaum zum erstenmal Gesang und teilte mich in den 2. Tenor ein, Kapitänleutnant Bechtolsheim singt 2. Baß. Wir übten "Gott grüße Dich", es macht Spaß und die Stimmen sind auch gut besetzt, nur die Kehle schmerzte.

15.4.18  Ich spüre jetzt auch, wie die Gefangenschaft drückt. Ab und zu schießt mir so ein schrecklich dummer Vogel durch den Kopf, und ich bin mit mir selbst unzufrieden. Heute keine englische Zeitung.

16.4.18  Es sieht nach japanischer Mobilmachung aus, ganze Abschnitte sind in der japanischen Zeitung ausgeschnitten. Viele japanische Reservisten ziehen mit Fahnen am Lager vorbei.23
Die Zeit verging mit viel Sprachunterricht, musikalischen Darbietungen, z.T. ausgezeichnete Kammermusik, daneben auch Holzarbeiten, unter anderem Bretterbearbeitung für vorgesehenen Laubenbau und Taubenschlag, nicht zu vergessen die Querelen um abhanden gekommenes Holz, was mehrere Bestrafungen nach sich zog.

28.4.18  Ich war um 6 Uhr auf den Beinen und stellte draußen fest, daß die Pumpen schon leer, also kein Wasser mehr da war. Schlimm so was. An allen Ecken fingen Saufereien an; denn die Leute haben aus Peking und Tsingtau ihr Spargeld erhalten, und wenn Geld drückt, schmerzt es!

01.5.18  Nach intensiver Arbeit am Taubenschlag bringe ich ihn nach Anbringung der Trittbretter bis Abend fertig und das erste junge Taubenpärchen, von Neunert erstanden, hält bei meinen alten Einzug. Das Getreide in der Nähe steht gut, sodaß sich meine Taubenschar gut selbst ernähren kann.

9.5.18  Reicher Gesprächsstoff: Japanische Zeitungen und auch Advertiser bringen die Nachricht, daß Deutschland wieder Friedensangebot an England gemacht hätte unter folgenden Bedingungen: Belgien wird wiederhergestellt, Elsaß-Lothringen selbständig, die in Brest-Litowsk festgelegten Grenzen bleiben, die Balkanfragen sollen auf den Vertrags-Verhandlungen festgelegt werden, wir verzichten auf Kiautschou, erhalten dagegen anderwärts Entschädigung. Amerika und Japan bleiben sozusagen links liegen und schimpfen natürlich.

11.5.18  Es wurde heute bekannt, daß für Japan-Gefangene Gelegenheit geboten ist, hier eine Vorprüfung zu machen, um dann zuhause nach einem 3-monatigen Kursus das Einjährige machen zu können.

16.5.18  In der 2. Korporalschaft war Theater angesagt und die Leute strömten hin. Gespielt wurde "Meister Andreas" von Emanuel Geibel. Ort der Handlung: Venedig. Das Lustspiel wurde unverhofft gut gespielt. Japanische Offiziere kontrollierten, ob Lustspiel oder Theaterstück, welch letzteres ja verboten war. Es sind nur musikalische und komische Vorträge erlaubt.

18.5.18  Mit Rieger sprach ich lange über russischen Sprachunterricht. Ich dachte schon lange daran, daß sich für mich im Osten, im Kurland oder am Schwarzen Meer eine gute Zukunft bieten könnte. Und als ich gestern mit Maier24 spazieren ging, hörte ich von ihm, daß er seit Januar Russisch lernt. Er meint, daß ich in Libau, Riga oder Kiew, Odessa und anderswo ein schönes Weingeschäft gründen könnte. Die Idee imponierte mir und ich glaube, nach dem Krieg müßte dort mit den größeren Freiheiten in Bezug auf Weinstuben/Weinhandel etwas zu machen sein. Maier war in Libau angestellt, es hat ca. 100.000 Einwohner, aber nur 1 Weinhandlung.

19.5.18  Pfingsten Konzert mit tadellosem Programm: Die gute Wostmann- und Schäfer-Kapelle, das Millies- mit dem "Kaiserquartett": erstklassig, der Chor auch tadellos.
Die Leute schimpften wegen der Schweinereien im Theater-Verein, einige wollen wegen der warmen Brüder austreten.

21.5.18  Beim Anschauen der russischen Lehrbücher stelle ich fest, daß es wohl eine schwierige Sprache ist. Rieger kam vorbei wegen des Unterrichts und gibt an, wenig Zeit dafür zu haben. Er will mit Schröder25 reden, der vor dem Krieg in Wladiwostock war.

24.5.18  Lange Debatten wegen der Löhnung, die lauter vorgetragen wurden. Die Geldreserven sind weitgehend aufgebraucht, und der erneute Antrag, der von Hauptmann Dobenecker dargelegt wurde, begründete sich aus oben angegebenen Tatbestand, und seine Bereinigung liegt bei ihm in besten Händen. Schröder will mir russischen Unterricht geben.

26.5.18  Meine Taube hat heute eine Eierschale aus dem Taubenschlag getragen, ein Junges ist geschlüpft. Komisch, die alten Tauben fressen jetzt nur noch Weichfutter, besonders die Täubin.
Von Holzberger erfahre ich heute, daß Herr Ostwald in Peking verstorben ist.26

28.5.19  Der Russisch-Unterricht geht los, Schröder will mir und Feldwebel Raydt 3-mal wöchentlich Stunden geben. [...] ich 10 Yen aushelfen könne. Ich sagte ihm zu, wenn ich nächstens von Geiger wieder Geld bekäme. Eventuell genügen ihm 8 Yen, und der Krieg wird ja wohl kein Jahr mehr dauern. Hauptsache ist, daß ich bei Schröder was lerne, und ich will feste heran.

1.6.18  Erster russischer Unterricht. Schwere Aussprache!

2.6.18  Am Vormittag wunderschönes Konzert im vollbesetzten Baderaum: Chöre, Solo-Baß mit Chor aus Zauberflöte, Streichquartett Beethoven und anderes.

3.6.18  Heute kam der angekündigte Besuch des Schweizer Gesandten27 auf eine Beschwerde von Kapitän Saxer hin, betreffend Einbehaltung von Speisen und auch Verbrennen von Post, vor allem aber war es der Wunsch nach Freiheit!

5.6.18  Nach 3 1/2 Jahren erster freier Spaziergang! Um 13 Uhr ab in nördlicher Richtung bis zu einem Shinto-Tempel in einem größeren Dorf, wo wir auch einkaufen konnten, soweit Geld vorhanden.

9.6.18  Hauptmann Schellhoss bekam Besuch von einem Ehepaar mit 3 Kindern, deren Anblick sehr anrührte, besonders die harmlose Frage des 6-jährigen Blondschopfs: "Warum seid ihr denn gefangen?" Ja, warum??

16.6.18  Sportfest: Schauturnen, 1.000-m-Lauf, Freiübungen, Fußball, darauf lange Sauferei bei Jaguar.

18.6.18  Von der Heimat traurige Nachrichten von Gefallenen, unter anderem auch Adam, für den ich schon Pläne geschmiedet hatte, denn mit ihm wäre etwas anzufangen gewesen. Oh, wenn man nur alle Kriegshetzer fassen könnte! Mein Russisch macht Fortschritte, und Herr Schröder will bis zum Jahresende das ganze Lehrbuch durch haben.
Wir sind dabei – Rieger, Haßlacher, ich, eventuell noch Holch –, die Genehmigung für den Bau einer Winterlaube bei Oberleutnant Tanaka zu erreichen, für welche er uns einen Platz anweisen soll. Er sagte schon soweit zu, will den Platz aber erst anweisen, wenn die Leute aus Oita hier eingetroffen sind.
Nachmittags ging ich mit Rieger ins neue Lager und kaufte das Holz, 3.80 m lang, 2.70 m breit für 24 Yen. Wir transportierten es bis abends ab und stapelten es in Petersens Bude. Ich wollte am nächsten Tag noch 5 Pfosten kaufen, die wir fürs Gerüst brauchten, aber Naito macht nicht richtig mit, er hat wohl Schwierigkeiten bekommen. Von Geiger sind 100 Yen eingetroffen!!

21.7.18  Mit Rieger, Haßlacher und Sprick über den Laubenbau beratschlagt. Sprick macht die Zimmermannsarbeit, Ricking die Dachdeckerei. Sprick sah sich das gekaufte Bauholz an, es fehlen uns noch 10-20 Pfosten.

23./24.7.18  Wir begannen mit dem Bau, und ich war beim Sägen und Holz richten in der Hitze ordentlich verbrannt, danach schnitten wir noch Blechstreifen zum Festmachen der Bambusstäbe zu. Abends Singen, der "Wach-auf-Chor" wurde eingeübt. Zwischendurch übte ich eifrig Russisch.

2.8.18  Sehr große Hitze, 38 Grad im Schatten!
Die neuen Leute kamen an und ich konnte noch rechtzeitig die Herren Gärtner, Rumpf und Glöckner, später noch Stein und Siebel begrüßen. Rumpf ist noch der Alte, Gärtner ebenfalls, mit ihm trank ich noch ein Bier und wir tauschten unsere zwischenzeitlichen Erlebnisse aus. Es wurde bekannt, daß im neuen Lager Lauben nur aus Holz aufgestellt werden dürfen. Mit Holch kaufte ich Holz und abends erfuhr ich, daß unsere Laube genehmigt sei. Danach wurden die Laubenplätze verteilt, wobei wir unseren gewünschten erhielten. Bis zum Abend des 12. war das Gerüst gestellt, das Dach mit Brettern beschlagen, ich machte die Fensterbegleitungen. Die Laubenwände isolierten wir mit doppelten Bretterwänden und füllten sie mit Asche aus.

17.8.18  Weil heute Kaiser-Karl-Geburtstag war, wurde nicht gearbeitet. Es spielte die Lagerkapelle neben anderen Vorführungen, wofür sich der österreichische Kapitän [Makoviz] bedankte.

26.8.18  Nur Holch wußte, daß ich heute Geburtstag habe, die paar Leute in der Küche und Korporalschaft auch, als ich plötzlich in die Küche gerufen und zum Schweinskopf eingeladen wurde.

30.8.18  Es tobte ein schweres Unwetter, aber unsere Laube ist wasserdicht! Die Japaner haben Erlaubnis für eine Schlosserei erteilt, und es sollen noch weitere Lauben für Schreiner, Bäcker und andere Zwecke genehmigt werden.

5.9.18  Unsere Laube wird immer schöner, mittlerweile ist sie schon tapeziert, und nun muß unterschrieben werden, daß in den Lauben kein Licht und kein Feuer gemacht werden darf. Aufenthalt nur bis zur Abendrunde, man darf auch nicht drin schlafen, es müssen Kübel mit Wasser aufgestellt werden.

17.9.18  Zwei von den 3 österreichischen Italienern, die vor kurzem desertierten und zu den Alliierten überlaufen wollten, sind aus der Schutzhaft in die Korporalschaft entlassen und dort halb tot geschlagen worden!28

18.9.18  Holch drückt sich vor der Arbeit an der Laube, was mich sehr ärgert. Mit Haßlacher machte ich die beiden letzten Bänke fertig, Rieger polsterte sie tadellos. Mittags mußten alle Österreicher ins Büro, wo festgestellt werden sollte, wer die beiden Deserteure verhauen hätte. Da sich die ganze Korporalschaft meldete, wurde sie geschlossen 15 Tage eingesperrt.
Ich hatte die 10 gekauften Hühner in den Pferch getan, es sind lauter schöne Hühner, eines hat bereits über Nacht 1 Ei gelegt.

21.9.18  Zum erstenmal die Laube genossen. Haßlacher und Rieger hatten durch das Los die Südseite, Holch und ich die Nordseite. Morgen muß jeder Laubenbesitzer einen Plan einreichen. Manche müssen die zu groß gebauten Teile wieder abreißen.

25.9.18  Es ist ein herrlicher Tag heute, und man sucht jetzt schon die Sonne auf. Letzte Feinarbeiten an der Laube, Bücherregale, Leisten für Wäscheständer, Fußabkratzer, Türen und Fenster mit Ölfarbe streichen.

27.9.18  Nachmittags war alles fertig, ich brachte Teller und Schüsseln in die Südlaube, wo wir uns zum prima schmeckenden Schweinebraten zusammen setzten – Herrn Bock hatten wir dazu eingeladen – und waren gerade im schönsten Gespräch, als plötzlich jemand am Fenster klopfte, es sei Alarm geblasen, die Runde sei schon im Lager. Alles spritzte auf, die Teller klirrten, aber es war Fehlalarm, weil außerhalb des Lagers.

28.9.18  Der Rest des Bratens wurde aufgegessen, dann rechneten wir den Laubenbau ab, pro Person 24,97 Yen, also garnicht so teuer. Wir pflanzten noch 5 Zierbäume vor die Laube.

29.9.18  Wir genießen unsere Laube, nachmittags kamen Gärtner und Fiedler zu uns, und wir aßen mit Holch 2 gefüllte Enten, die wunderbar schmeckten. Zum erstenmal spielte ich in der Laube Gitarre, es regnete stark und die Arbeit fiel aus.

6.10.18  Prinz Max von Baden ist Reichskanzler geworden und bildet sich selbst sein Kabinett aus den Mehrheitsparteien.
Eine Neuigkeit kam durch: Deutschland hat Amerika direkt ein Friedensangebot gemacht: Räumung Belgiens und Flandern, Nord-Frankreich, Elsaß-Lothringen erhält Selbstbestimmungsrecht, Amerika angeblich verhandlungsbereit.

13.10.18  Die Schauernachricht: Der Kaiser hat zugunsten des Kronprinzen abgedankt, Hindenburg umd Ludendorff gingen ebenso. Große Debatten bei uns!!

14.10.18  Überschaar bringt japanischen Befehl, daß Weg und Umzäunung unserer Hühnerställe ausgerichtet werden müßten. Ich machte mich an meinen und rückte Wall und Zaun etwas vor. Für die Hasen machten wir Extra-Eingang, weil Quandt uns um etwas Platz bat. Nachmittags kam Quandt niedergeschlagen mit der Meldung, daß Waffenstillstand und bedingungslose Kapitulation eingegangen sei. Die verrücktesten Meldungen kursieren.

19.10.18  Eine böse Bekanntmachung: Unteroffiziere, Feldwebel und Deckoffiziere erhalten Geldzulagen von monatlich 10 bzw. 18 Yen ab 1.10.1917, für die Mannschaften soll dies noch beantragt werden. Aber das sind nur Beruhigungspillen. Wütendes Geschimpfe im ganzen Lager.

21.10.18  Unverschämte Bedingungen der Schweizer-Gesandtschaft für Reservisten, die monatliche Darlehen aufnehmen wollen: Es müssen Sicherheiten über Bankguthaben, anderes Vermögen und durch Bürgen gegeben werden. Für 100 Yen zahlt man 350 Mark und bei 5% Zinsen muß das Geld bis spätestens 6 Monate nach Friedensschluß zurück gezahlt sein an das Deutsche Reichsmarineamt. Das Geld an Unteroffiziere, Feldwebel und Deckoffiziere gilt rückwirkend als Geschenk und läuft dann weiter. Für Mannschaften soll dies beantragt werden. Die Geschichte macht böses Blut!!

23.10.18  Von Geiger erhielt ich Anweisung für 100 Yen, er schreibt, daß ich die Anleihe zu 240 Yen zinsfrei erhalte, auf Verlangen will er noch mehr schicken.

24.10.18  Morgens Russisch-Unterricht, danach machte ich bis 12 Uhr mit Scherer [?] Weinbau. Im Hühnerhof von Petrus sah ich zwischen den durcheinander schreienden Hühnern einen Iltis, der aber wieder verschwand.

27.10.18  In einem neu hergestellten Schlafsack gut geschlafen. Geiskopf hatte uns Tuche besorgt für Hosen, die uns dann ein Schneider anmaß. Fleißig Russisch geübt. Es kam die Nachricht, daß in den Lauben doch unter gewissen Vorbedingungen Hibachi (Heizöfen) benutzt werden dürfen. Aber bereits mittags kitschte Oberleutnant Tanaka bei Hauptmann Schellhoss einen brennenden Hibachi, und es hieß wieder, sie seien verboten.

4.11.18  Hindenburg erließ Befehl, daß wir uns an den Reichsgrenzen auf Leben und Tod verteidigen werden.

6.11.18  Bayern verlangt nach der Hohenzollern-Abdankung die Kaiserkrone! Es schwirren die wildesten Gerüchte in der Luft!

12.11.18  Es soll Waffenstillstand geschlossen worden sein und im Lager herrscht sehr gedrückte Stimmung. In Yokohama stürmten die "Helden" das deutsche Konsulat, in Tientsin das Roland-Denkmai, wovon sie den Kopf ins englische, den Rumpf ins französische Konsulat schleppten.

25.11.18  Als ich mir hinter der Küche Speisereste für die Hühner und Hasen holen wollte, kitschte mich Oberleutnant Takahashi und sagte, das sei verboten, und ich mußte das Futter ausleeren.

27.11.18  Das vorbereitete Hessen-Konzert fand heute statt. Gute Orchester-Musik, Solo-Gesangsvorträge von Herrn Aspeck klangen sehr schön, er hat eine gute Technik. Ich war auch sprachlos über die anziehende Begleitung des Majors von Wedel. Die Chöre klangen ebenso gut und lösten großen Beifall aus.

28.11.18  Große Debatte ums Geld. Deckoffiziere sollen 18 Yen, Feldwebel 12, Unteroffiziere 10 und die Mannschaften 2,20 Yen bekommen. Die Feldwebel sind neidisch auf die Deckoffiziere, die Obermaate auf die Maate und Feldwebel und die Mann- [unleserlich]

1.12.18  Bei den Friedensverhandlungen soll die deutsche Regierung den Antrag gestellt haben, alle geheimen Dokumente von der Vorkriegszeit zu veröffentlichen, um den Kriegsschuldner zu finden. Die Alliierten hätten bis auf Frankreich zugestimmt.
Nach langen Gesprächen über unsere Zukunft kamen verschiedene Kameraden mit mir zu dem Ergebnis, daß wir bei einem faulen Frieden, soweit sich die Möglichkeit bietet, nicht nach Hause zu gehen, sondern eventuell nach Chile, wohin Wehrhahn geschrieben hat. Er will mit deutschen Gefangenen eine deutsche Kolonie gründen. In den Baracken wird viel von Auswandern gefaselt, Engländer und Franzosen stänkern gegen Wilson, er hätte nicht Schiedsrichter zu spielen und müßte vieles von seinen 14 Punkten fallen lassen.

15.12.18  Mit Holch las ich in einem chilenisch-deutschen Kalender von 1917 ein chilenisches Ansiedlungsgesetz mit Rechten und Pflichten.

15.12.18  Holch hat Geburtstag. Am 16. ging er weg und fuhr nach Tokio, wo er mit dem Zahlmeister eine neue Seifenfabrik besuchte. Dort soll er für 15-20 Yen monatlich arbeiten, sobald die Genehmigung vorliegt. 19.12. Von Geiger kam ein Brief mit der Ankündigung eines Paketes mit Wurst und Zigaretten. Er hätte auch, obwohl er und alle Deutschen der Deutsch-Asiatischen Bank vom Liquidator entlassen seien, noch eine Anleihe für mich über 200-300 Yen vorgesehen. Er ist doch ein guter Mensch.

24.12.18  Es liegt Schnee und an den Fensterblumen ist zu erkennen, daß es bitter kalt ist. In der gesunden Luft lange mit Holch spazieren gegangen, nachmittags Vorlesung, danacn Kirchgang, Spohr verlas die Weihnachtsgeschichte und predigte nur kurz in dem Sinne, daß wir vertrauensvoll in die Zukunft blicken sollten. Die Chöre: "Gloria" und "Sanktus" aus der deutschen Messe von Schubert sowie die "Hymne an die Nacht" waren gut, wir standen nur so schlecht und auseinander gerissen. Danach saßen wir noch einige Zeit beisammen, ich ging dann bald ins Bett.

25.12.18  In unserer Laube waren wir zum Kaffeetrinken beisammen, ich hatte Pfarrer Schroeder eingeladen, und Gärtner und Wehrhahn kamen noch hinzu. Trotz 20 cm hohem Schnee war mir garnicht weihnachtlich zu Mute, dann kamen manche Leute dreckig und besoffen zum Antreten.

27.12.18  Gott sei Dank sind die Feiertage herum, die traurigsten in meinem bisherigen Leben. Es jst kein Bier mehr da und das ist gut so. Grunewald las aus einer Zeitung einen Artikel über Stacheldraht-Krankheit vor, das trifft auf unser Lager zu.29

30.12.18  Der japanische Unterhändler Sajonyi fährt erst am 14.1.19 oder im März nach Europa, also wird's mit unserer Entlassung später, vielleicht sitzen wir noch im Juli hier.

31.12.18  Konzert. Es klappte alles gut. als ich aber danach in die Korporalschaft kam, fiel ich beinahe um: Einige trugen Zivilkleidung, Kersch30 hatte sich als Frau verkleidet. Die Schäfer-Kapelle kam zu uns und und es begann ein großer Rummel, der bis 1 Uhr dauerte und Leute von allen Truppenteilen bei uns zum Jahreswechsel sah.

1.1.19  Ich fühlte mich garnicht wohl, Kopfschmerzen, Hustenanfälle, und während alles Volk vom O.M.D. in der 4. Kompanie beim Tanzen war, nahm ich 10 Tabletten Aspirin und legte mich ins Bett.

4.1.19  Die Tabletten haben geholfen, unter Neujahrswünschen war auch eine Karte von Ida mit der Ansicht meiner Versuchsanlage, wo wir beide drauf zu sehen sind, machte mir wieder einmal Spaß.

12.1.19  Es zirkuliert durch Vermittlung der Schweizer Gesandtschaft ein Papier für Leute, die nach Friedensschluß eventuell nicht nach Hause wollen. Es muß ein Gesuch eingereicht werden, das 5 Punkte enthält: 1. Warum er nicht nach Deutschland zurück will. 2. Wo er im Ausland zu leben gedenkt und in welcher Tätigkeit. 3. ob und wodurch die Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes gesichert sind (Belege sind beizufügen). 4. Wie lange er im Ausland zu bleiben gedenkt. 5. Ob und wodurch die Mittel für eine gegebenenfalls notwendig werdende Heimreise sicher gestellt sei (Belege dazu). So ein Umstandskram. Die Firmen wissen ja selbst noch nicht, ob sie nach Friedensschluß im Osten bleiben können.

13.1.19  Nach dem Russischunterricht mit Gärtner, Rumpf, Haßlacher, Riegow in unserer Laube darüber gesprochen, gemeinschaftlich unsere nach Tsingtau vorgelegten Reisegelder bei Dr. Crusen in Shanghai zu beantragen.

14.1.19  Die Verhandlungen für den Hauptfrieden sollen erst zum Jahresende soweit sein, daß die deutsche Delegation zugelassen wird. Das sind ja böse Aussichten!
Auf einer zirkulierenden Liste muß man angeben, wohin man von hier aus entlassen werden will. Ich gebe an: nach Hause.

18.1.19  Mehrere Leute kamen ins Revier, sie sollen den Anfang von der Spanischen Krankheit haben. Laut ärztlicher Verordnung: Salzwasser gurgeln. Schlecht geschlafen. Aspirin genommen, worauf es wieder ging.
19. Heute sind schon 28 Mann krank, es soll aber keine Grippe sein.

20.1.19  Die Grippe greift rapide um sich, die Marine-Kompanie ist fast vollständig krank, das Revier reicht nicht aus.

21.1.19  Von Geiger kam Karte, daß er mir 100 Yen schickt. Die Kranken werden immer mehr, Gesunde werden verlegt.

22.1.19  Unsere Korporalscnaft ist noch auf [dem] Damm. Jeder gurgelt Salzwasser. Es kommen Leute ins Lazarett. 2 japanische Offiziere und 2 Soldaten sind da gestorben. Ich trinke ab und zu Whisky und gurgele Salzwasser.

[Einfügung des Bearbeiters: 23.1.19 Heinrich wird auch von der Grippewelle erfaßt und trägt aus dem Gedächtnis nach:]

Als ich aus meiner Laube am 25.1.19 ins Lager kam, war auch die III. Kompanie gesperrt, alle hatten sich krank gemeldet bis auf 9 Mann, die als Pfleger eingeteilt wurden. Mir war zwar auch unwohl, aber ich machte nochmal Krankenwache, hatte leichtes Fieber, das, nachdem ich mich 3 Tage gelegt hatte, soweit vorbei war, als ich beim Austreten, noch naß geschwitzt, durch einen kalten Luftzug – jemand hatte hinter mir das Fenster geöffnet – derart geschockt wurde, daß ich sofort empfand, jetzt hat's mich erwischt. Mit 39,6° Fieber kam ich ins Lazarett. Alles belegt, auch Japaner drin, mein Zustand verschlechterte sich, Anfang Februar wurden beide Beine steif, von einer in die andere Kompanie verlegt. Höhepunkt der Krise am 10./11. Februar.

Am 17.2.19 mit noch 3 Kameraden als die letzten 4 Schwerkranken ins Lazarett verlegt, wo ich nach einigen Tagen erfuhr, daß ich eine schwere Lungenentzündung hatte, die am 26.2. soweit überwunden war.

Am 16. März in die Baracken entlassen, bald Gehversuche, doch noch längere Zeit wegen des dicken rechten Beines am Stock.
 

[ab Weihnachten 1919 (Heimreise)]

Von 600 Kranken waren 26 Mann in Narashino gestorben! In den nächsten Monaten half mir die Laube sehr zur Genesung, dort konnte ich mit Sonnenbädern vor allem auch die Beine in die Reihe bringen. So verging die Zeit, und als der August und September kamen, nutzte ich die Gelegenheit, Trauben zu kaufen, daraus Federweißen zu machen und zu verkaufen. Dabei habe ich mir 100 Yen verdient. Inzischen waren auch die ersten Entlassungen angelaufen: im Juli die Elsässer, dann Tschechen, Slowaken, Dänen, auch solche aus belgischen Gebieten. Um uns herrschte ein ständiges Hin und her, Urlaubs-Einreichungen, Ablehnungen, schließlich Kisten und Koffer packen, bis dann durch Losentscheidung meine Zuteilung zum Narashino-Transport Kifuku Maru erfolgte, der als zweiter Transporter am 28.12.1919 zur Heimreise auslaufen sollte.

Nach einer lebhaften und denkwürdigen "Weihnachtsnacht" verließen wir endlich am 25.12. das Lager, kurzes Antreten und Auszahlung von 50 [...] der Reservisten [...] und Bahnfahrt nach Kobe, wo wir am 27.12. um 8 Uhr eintrafen.
Das war ein Gefühl auf dem kurzen Weg zum Schiff gleich dabei. Wir können es nicht fassen, die Freiheit!! Am 28.12.19 stach die Kifuku-Maru in See.
Das Wetter war regnerisch, und als wir an der noch vor Ankei liegenden Hofuku Maru vorbei fuhren, tönte uns ein "Schiebung" entgegen – die Hofuku sollte ja schon am 26.12. auslaufen, doch ihre Heimkehrer schlenderten noch in Kobe umher.

29.12.19  Zum zweitenmal wie ein Herrgott geschlafen, unruhige See, und unser Schiff schaukelte ordentlich. Viele Seekranke, ich saß auf Vorderdeck im starken Wind, ohne Probleme. Um 16 Uhr Ankunft in Moji, wo wir wegen Unwetter auf See – ein ausgelaufener amerikanischer Dampfer kam wieder in den Hafen zurück – über Nacht verblieben, bei guter Musik einer etwa 6 Mann starken Kapelle.

30.12.19  Es regnet und schneit, das Schiff liegt steuerbord schief und kann nicht auslaufen, weil Kapitän und Personal noch fehlen. Dann gegen 11 Uhr werden die Anker gelichtet, und unsere Seereise beginnt. Der Kahn ist nur schwach beladen und schwankt erheblich bei mäßigem Seegang. Nach dem Essen steigt die Zahl der Seekranken. Ich selbst spüre nichts davon und halte mich nur an Deck in frischer Luft auf. Der Kahn lief 7, dann 9 Seemeilen, bis er abends auch noch 1/2 Stunde ganz liegen blieb, weil die Japaner die Lager hatten heiß laufen lassen.

31.12.19  Bei ruhiger See Skat gespielt, vom Bottelier wurde 1 Faß Rotwein und 1 Faß Rum angezapft, darob leichten Schwips. Tümmler begleiteten unser Schiff. Die Kapelle, verstärkt durch Wälder und Hahn, spielte in unserem Raum, und wir sangen zur allgemeinen Belustigung. Ein nach nichts schmeckender Punsch wurde verabreicht und abends ging's beizeiten um 21 Uhr ins Bett.

1.1.20  Spiegelglatte See, es gab Lachs und Salat und mittags Klöße mit Pflaumen, was nicht gut schmeckte. Abends sangen wir im Gesangverein und erfuhren, daß auch die Hofuku Maru in Kobe ausgelaufen sei.

2.1.20  Freitag. Nachts um 2 Uhr in Tsingtau angekommen. Am Morgen bugsierte uns ein Lotse bis zum Pier, wo wir von Deutschen, meist Frauen, vom Land aus begrüßt wurden. Sogleich kamen viele an Bord, wo sich manche Familienmitglieder glücklich wieder trafen und gemeinsam in Zivil an Land gingen. Im Laufe des Tages wurden Urlaubsscheine, korporalschaftsweise wechselnd, ausgestellt für die paar Tage Aufenthalt. Ich zog Los für [...], ob ich meinen Handkoffer bei Frau Hunte wieder bekommen kann. Es kommt das Gepäck per Familientransport zu uns an Bord, die Stadt bietet von der See aus einen herrlichen Anblick [...] abends strömen viele in Zivil an Land. Von der Polizei werden sie teilweise zurück an Bord gejagt und geschlagen.
[...] Über Nacht Getrappel auf und ab von den Leuten, die kamen und gingen. Um 9 Uhr ging ich mit Uschkoreit, der ebenso wie ich keine Bekannte in Tsingtau hat, an Land.

3.1.20  Frau Hunte am Hohenloheweg ist nicht mehr da, es sind die meisten deutschen Häuser von Japanern bewohnt. Die kleinen Kerle passen garnicht hinein. Ach, wie sind die ehemals schönen Straßen und Anlagen vernachlässigt. Auf den Straßen nur hie und da ein Europäer. Es sollen noch in Tsingtau sein: 23 Amerikaner, 30-40 Englander, 21 deutsche Frauen und Kinder.
Bis Iltisplatz gingen wir beide zu Fuß, vorbei am Gedenkstein der alliierten Gefallenen und am Strand zurück ins Restaurant "Zur Krone"; 1 Glas Bier = 90 Sen. Es ist nichts los und wir gingen zurück zum Dampfer. Im Gebäude von Diederichsen und Mayer, in dem wir 1914 einquartiert waren, sitzen Japaner. In Tsingtau allein sollen 20.000 Japaner, davon nur wenig Militär, leben.
Auf dem Dampfer wird weiter verladen, viel unnützes Zeug, z.B. Rollstühle, dazu noch in Kisten verpackt, raumaufwendig und leicht, das Schiff bekommt so keinen Tiefgang.
Die meisten Landgänger bewegen sich tags und nachts in Richtung "Buff". Es war lausig kalt geworden, weshalb ich bereits um 20 Uhr ins Bett ging, um mich nicht abermals zu erkälten.

4.1.20  Nachts -0 Grad C. Ohne Urlaubsschein ging ich mit Stössel, Holch und Krämer über den Moltke-Platz in die Stadt. Diesen Platz kennt man nicht wieder. Mit Häusern und Straßen verbaut. Von Taitungcheng ist das hintere Gelände noch unbebaut, die Straßen sind noch die alten mit vielen Neubauten.
Wir gingen durch den Ort zur ehemaligen Stellung der I. Kompanie, deren Schützengräben und Unterstände noch da sind, verfallen und verwittert. Ich allein weiter nach Tsungtschiawa. Der Stall noch da, das Welldach zerschossen, alles leer und öde, die Wände zerschossen, Türen und Fenster weg. Der Weg zu der Kasematte mit Gras zugewachsen, die Geschützstande zerschossen und eingefallen, viele Geschoßtrichter, unheimliche Leere. Ich ging hinten herum zum Iltisberg (wo wir die letzte Munition aus Tsungtschiawa holten), am Ende auf Seitenpfaden zu den beiden Iltis-Batterien.31 Hier traf ich auf [...] Lemke mit 2 [...]männern, die [...] Geschützrohr ist noch auf [...] gerichtet, das andere liegt am Boden. Das waren die beiden 10,5-cm-Geschütze, die seinerzeit so laut waren. Der Itisbucki [?] total zer[...] ergab was ...onument – ........ der Alliierten Tsingtau – [...] eine Pagode aus [...], dann an der von japanischer Infanterie belegten Bismarck-Kaserne vorbei in die Stadt, wo ich wieder auf die andern traf.
Kleine Einkäufe, Stössel kaufte etwas beim chinesischen Schneider, der uns beim Eintreten eine gute Zigarette anbot, meine erste seit langer Zeit. Wieder zurück an Bord. Eckerich stellte mir da die zweite Tochter Riegers vor, die an Bord gekommen war. Im Laufe des Tages wurde ein Transport von 4.000 Kulis am Europapier ausgeschifft, wie Tiere sollen die armen Kerle verladen gewesen sein. Doch sollen sie wegen großer Verluste durch deutsche Flieger wütend auf die Deutschen sein.
Wir warteten auf das Auslaufen. Pünktlich um 14 Uhr war es soweit, und der Kahn wurde ausgeschleppt. An Deck spielte einer unserer Trompeter das Deutschlandlied, danach: "Es braust ein Ruf wie Donnerhall", zum Schluß "Holdrio, jetzt geht's zur Heimat", was wir vom Schiff und Land gemeinsam sangen, viel Tränen, vor allem an Bord, ein komisches Gefühl. Ein englischer Offizier, der bei Cambrai gekämpft hatte und sich vor unserer Abfahrt sehr vernünftig mit uns unterhalten hatte, sang ebenfalls mit.
Durchs Fernglas schaute ich lange auf Tsingtau zurück und prägte mir den Anblick ein, gedankenverloren dem früheren deutschen Flecken Erde ein "Lebe wohl" im Sinn.
Wir Sänger hätten uns so gerne mit einem Chorlied verabschiedet, was leider an Wälder scheiterte (Dirigent), der die ehemaligen Tsingtauer wegen ihrer Hochmütigkeit nicht leiden konnte. Es hätte sowohl auf die Zurückgebliebenen als auch Ausländer einen guten Eindruck gemacht, zum Abschied gute Musik und Gesang von uns zu hören. Mir war's den ganzen Tag über schlecht zu Mut und ich ging bereits um [...] Uhr ins Bett.

6.1.20  Dreckige See von dem Wasser des Yangtse-Fluß. Meist unter Deck. [...]
Stürmische See und viel Seekranke. Mittags wurde die See ruhiger. Wir sind über Shanghai hinaus und werden in 2 Tagen auf der Höhe von Hongkong sein. Es schlug viel Wasser über Deck.

8.1.20  Ruhige See, bis Abend erreichten wir die Straße von Formosa, und weiter schönstes Wetter. Die Himalaja Maru steht mit uns in telegraphischer Verbindung [...] hinter uns. Wir begegneten 10 Eis[...] besetzt, [...]
Trübe und regnerisch, ich bin am Vorderdeck, ein ca. 5 [Meter?] langer Fisch [...] reist dicht das Schiff, etliche fliegende Fische schwingen [...]
Im Laufe des Tages wurde es sehr warm, sodaß alles die Kleidung wechselte. bis heute fuhren wir [...]

[Hinweis des Bearbeiters: "ENDE".]
 

Anmerkungen

1.  Funktion Shinazaki unklar.

2.  Oberleutnannt Habu war einer der japanischen Wachoffiziere, ebenso wie Harada und Tanaka.

3.  Name des Zahlmeisters unbekannt.

4.  Liste folgt.

5.  Name/Funktion von "Max" unklar.

6.  Vermutlich handelt es sich um den Kaufmann C. Holzberger.

7.  "Koch" nicht identifiziert.

8.  Japan lehnte die Entsendung von Landstreitkräften nach Europa ab und verstand sich lediglich zur Gestellung einiger kleinerer Schiffe.

9.  Der körperlich und geistig behinderte Taisho-Tenno Yoshihito hatte schon am 30.07.1912 den Thron bestiegen, jedoch fand am 10.11.1915 eine Krönungszeremonie statt.

10.  "Wilhelm" nicht identifiziert.

11.  Welcher Gefangene mit Namen "Fischer" befördert wurde, ist unklar.

12.  Vermutlich ist Kuster gemeint.

13.  Liste folgt.

14.  "Philipp" nicht identifziert.

15.  Gemeint ist hier und im Folgenden die Baracke, in der die Jaguar-Besatzung untergebracht ist.

16.  Übersetzung folgt.

17.  Bemerkung des Bearbeiters: "Es ist aus Heinrichs Tagebuch nicht zu erkennen, für welche Gesamtzeit ausgezahlt werden soll!"

18.  "Baron" nicht identifiziert.

19.  "Rehardt" nicht identifiziert.

20.  Der Identität des Betroffenen ist nicht bekannt.

21.  Tatsächlich wurden im März 1918 aus Fukuoka und im August 1918 aus Kurume weitere Gefangene nach Narashino verlegt, dazu Ende August noch die Gefangenen aus den Lagern Oits und Shizuoka.

22.  Es ist nicht klar, welche Spendenaktion hier gemeint ist.

23.  Vermutlich handelt es sich um Truppen, die nach China bzw. Ost-Rußland entsandt wurden.

24.  "Maier" nicht identifiziert.

25.  "Schröder" nicht identifiziert.

26.  "Ostwald" nicht identifiziert.

27.  Ferdinand von Salis (1864-1947) war von 1909 bis 1920 schweizerischer Gesandter in Japan.

28.  Es könnte sich hierbei um Bonifacio und Marikio handeln.

29.  Siehe den Zeitungsausschnitt.

30.  "Kersch" nicht identifiziert.

31.  Ab hier bis zum Ende sind die Aufzeichnungen schlecht lesbar; deshalb die vielen [...].
 

©  Hans-Joachim Schmidt
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